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«Aus Angst und Scham habe ich viel zu lang still gelitten.»

Annika Redlich war selbst von einer postpartalen Depression betroffen bevor sie Geschäftsstellenleiterin des Vereins Postpartale Depression Schweiz wurde. Im Erfahrungsbericht erzählt sie von ihren persönlichen Erfahrungen mit postpartaler Depression.

Mutter mit Kind

Nachdem meine erste Schwangerschaft voller Vorfreude, die Geburt sowie die Umstellung auf das Leben mit meinem Sohn gut und gesund verliefen, stürzte mich eine Fehlgeburt am Ende des vierten Monats in eine Welt voller Angst und Erschöpfung. Nach dem Verlust des Geschwisterkindes litt ich unter Panikattacken. Ich versuchte zwanghaft wieder schwanger zu werden und war jeden Monat sehr traurig, dass sich mein Wunsch einfach nicht mehr erfüllen wollte. Zwei Jahre blieb ich allein damit, ich traute mich nicht, über meine tiefe Trauer und meine Schuldgefühle dem Kind gegenüber zu sprechen oder gar professionelle Hilfe für die Bewältigung in Anspruch zu nehmen.

Erst als ich bei der gynäkologischen Jahreskontrolle in Tränen ausbrach, erhielt ich den Kontakt zu einer Trauerhebamme. Dort konnte ich den Verlust aufarbeiten und es ging es mir besser. Ich wurde wieder schwanger. Doch diese Schwangerschaft verlief ganz anders. Die Ängste kamen zurück, ich hatte den Gedanken, dass Kind nicht mehr bekommen zu wollen, um nicht noch einmal all das fühlen zu müssen. Ich versuchte mich auf die Geburt zu konzentrieren, dachte, sobald meine Tochter auf der Welt sei, würden diese Ängste wieder verschwinden. Das war am Anfang auch so. Doch nachdem meine Periode wieder eingesetzt hatte, bekam ich Schwindelattacken. Ich geriet von Woche zu Woche immer mehr aus der Balance, hatte dazu Schlaf- und Sehstörungen. Konflikte mit meinem Partner nahmen zu. Als ich nach dem Mutterschaftsurlaub versuchte, wieder ins Berufsleben einzusteigen, kippte es völlig. Ich nahm innert kürzester Zeit 10 kg ab, ich hatte keine Kraft mehr mich um meine Kinder zu kümmern oder den Alltag zu bewältigen. Jeden Tag litt ich unter Panikattacken, unter Zwangsgedanken, ich könnte mir oder meinem Kind etwas antun und litt unter der für mich in diesem Moment schier ausweglosen und verzweifelten Situation.

«Auch wenn es so scheint, als würde es sich nie wieder ändern - genau das wird es tun, wenn du dich der Krise stellst und Hilfe holst.»

Ich wurde von einer Gesprächstherapeutin begleitet, gegen eine zusätzliche medikamentöse Unterstützung wehrte ich mich. Erst eine andere Mutter, die ebenfalls eine postpartale Depression erlebt hatte, konnte mir die entscheidende Hilfestellung geben, in dem sie mich auf die Mutter-Kind-Station des Spital Affolterns brachte. Die intensive Auseinandersetzung mit mir und der Blick hinter die Fassade, der entlastende und persönliche Austausch mit den anderen betroffenen Müttern, die Erholungs- und Therapiemöglichkeiten und schliesslich auch die Medikamente, die ich dort begann zu nehmen, halfen mir mich wieder zu stabilisieren. Die Angst verschwand Stück für Stück, ich erlernte neue Bewältigungsstrategien. Es traten langsam wieder Mut und Zuversicht in mir hervor. Mein Weg ging nach dem stationären Aufenthalt noch einige Monate weiter, aber der Veränderungsprozess war angestossen worden. Ich habe den Verein Postpartale Depression Schweiz leider erst während meiner Zeit auf der Mutter-Kind-Station gefunden, hätte ich früher die Unterstützung durch andere Betroffene und deren Erfahrungen gehabt, hätte meine Geschichte eine andere sein können.

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