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Ein Herbarium für die Wohnsiedlung Kronenwiese

Seit Sommer 2014 wird die neue Wohnsiedlung auf der Kronenwiese zwischen Kornhausstrasse und Nordstrasse erstellt. Mit ihr entsteht auch Stück für Stück, oder besser geschossweise vom Keller bis zur 5. Etage, eine Kunst-und-Bau-Arbeit von Christian Kathriner mit dem Arbeitstitel «Herbarium».

Das temporäre Atelier auf der Kronenwiese
Das Atelier im Grünen. In der Umgebung wurden die meisten der rund 500 abgeformten Blätter gefunden. Besonders komplexe und schöne Blätter finden sich doch nicht an jeder Ecke.

Das Siegerprojekt des 2013 ausgeschriebenen, zweistufigen Wettbewerbs der Fachstelle Kunst und Bau des Amts für Hochbauten präsentiert eine höchst eigenwillige Sammlung botanischer Blätter. Diese sind in Form von Reliefs auf rund vierzig ausgewählte Wände der Treppenhäuser des neuen Gebäudekomplexes eingebracht.

Kunst und Bau wird immer für einen spezifischen Ort konzipiert und auch häufig im Prozess des Bauens realisiert. Aber selten ist die künstlerische Arbeit dermassen eng mit dem Fortschritt des Baus verzahnt. Denn hier werden nicht im Atelier vorgefertigte Versatzstücke in den Bau integriert, sondern der Künstler und sein Team arbeiten über ein Jahr lang auf der Baustelle. Jeweils kurz vor dem Giessen von Sichtbetonwänden bearbeitet Christian Kathriner die Schalungselemente und komponiert dabei Reliefs von Pflanzenblättern. Im Lauf des Jahres verändert sich auch der Fundus seines Herbariums, abhängig vom Glück des Pflanzensammlers und dem Erfolg des Künstlers in seiner Rolle als Züchter. Nachfolgend gibt Christian Kathriner selbst Einblicke in sein Projekt.

Werkstattbericht des Künstlers Christian Kathriner

Akanthuspflanze, vom Künstler gezogen
So wird der Künstler zum Akanthus-Züchter und das Atelier zum Gewächshaus.

Ein «Herbarium» für die Wohnsiedlung Kronenwiese entsteht durch immer neue Formationen von feinsten und detailliertesten Reliefs, die sich in die Betonoberflächen des Rohbaus einschreiben. Dafür werden hochdetaillierte Schalungsmatrizen, Naturabgüsse von Blättern im Massstab 1:1 in meinem Atelier produziert und auf der Baustelle direkt auf die Schalungselemente der Betonarbeiten aufgeklebt.
Eigentümliche Pflanzenkonglomerate aus nicht zusammengehörigen Blatthälften finden in ornamentartigen Formationen zusammen. In immer neuer Zusammenstellung zeigen diese Pflanzengebilde eine Anmutung, die bewusst die Waage halten will zwischen systematischer Anordnung wissenschaftlicher Darstellungsmethoden und überschiessendem Wildwuchs künstlerischer Formgenerierung. Die Gebilde changieren zwischen der Assoziation bekannter kultureller Muster und einem fremdartigen Formenreichtum, der sich jeder Hierarchie und Kenntnis entzieht.

Blick in die Bibliothek des Herbariums mit Blattabformungen aus Gips...
und Abgüssen aus Silikon.
Silikonabgüsse werden auf den Schalungsbrettern angebracht
Auf der Baustelle werden die Silikonabgüsse auf den Schalungsbrettern angebracht

Die Reliefs betonen sanft eine Reihe von präzise gewählten räumlichen Schnittstellen: Zum Beispiel die Eingangszonen, die den Aussenraum mit den privaten Wohn- und Arbeitsräumen verbinden. Die Interventionsorte sind locker gestreut und sollen nicht als Systematik erfassbar sein. Mit selbstverständlicher Präsenz und gleichzeitig gelassener Zurückhaltung wird in das Gebäude eine künstlerische Ebene eingeflochten, ohne neues Material oder zusätzliche Farbe hinzuzufügen.

Da die Realisierung der künstlerischen Arbeit eng mit dem Bauprozess verbunden ist, musste mit dieser unmittelbar nach dem Juryentscheid im Juli 2014 begonnen werden. Für die Produktion der Matrizen wurde eine grossangelegte Versuchsreihe gestartet, um die richtigen Klebstoffe zu evaluieren.

Der Beton donnert zwischen die Schalungsbretter. Die Matrizen müssen den gewaltigen Kräften standhalten.
Der Beton donnert zwischen die Schalungsbretter. Die Matrizen müssen den gewaltigen Kräften standhalten.

Die Aufgabe lautete: Finde einen Klebstoff, der auf einer Oberfläche perfekt haftet, die so beschaffen ist, dass darauf möglichst nichts haften bleibt. Zudem muss dieser Klebstoff den enormen Schub- und Zugkräften des beim Betoneinbau eingeschütteten Zement-Kiesgemischs standhalten, ebenso dem darauffolgenden Rütteln mit der Vibriernadel. Und am Schluss sollen die aufgeklebten Elemente rückstandsfrei vom Schalungselement entfernt werden können. Mit Beendigung des Rohbaus im Frühjahr 2016 wird auch das ins Gebäude gegossene «Herbarium» fertiggestellt sein.

Text: Kristin Bauer / Christian Kathriner
Fotos: Christian Kathriner

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