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Urbane Produktion für eine vielfältige Stadt

16. August 2017 - Günther Arber

Nach dem Rückgang von Industrie und produzierendem Gewerbe im Zuge von Strukturwandel, Verlagerung und Verdrängung werden heute in verschiedenen westlichen Grossstädten Anstrengungen unternommen, Betriebe des Werkplatzes zu halten und anzusiedeln. So auch in der Stadt Zürich, wo die Flächen dafür planerisch gesichert wurden und ein Strategie-Schwerpunkt dazu läuft. Was steckt hinter dem Engagement für die urbane Produktion und wo liegen die Herausforderungen?

Die Bedeutung des publikumsorientierten Gewerbes – also von Läden, quartierbezogenen Dienstleistungsbetrieben und Gastronomie – für eine vielfältige und attraktive Stadt ist unbestritten. Aber was haben das produzierende Gewerbe und die Industrie heute noch in der westlichen Grossstadt verloren? In der Stadt Zürich wurde bereits 1992 bei den Beratungen der revidierten Bau- und Zonenordnung (BZO) unter dem Eindruck grossflächiger Desindustrialisierung darüber debattiert, ob Flächen für Produktionsbetriebe nicht obsolet und die Industrie- und Gewerbezone deshalb «sofort und bedingungslos» für finanzkräftige Dienstleistungen zu öffnen seien.

Flächensicherung

Dazu ist es nicht gekommen, wie der Blick in die im Oktober 2016 vom Zürcher Gemeinderat beschlossene teilrevidierten Bau- und Zonenordnung (BZO 2014) zeigt. Während die der Industrie- und Gewerbezone zugewiesene Fläche seit der BZO 1963 mit jeder Revision bis zur BZO 1999 sukzessive verkleinert und gleichzeitig teilweise für die Ansiedlung reiner Dienstleistungsbetriebe geöffnet wurde, hat der Wind mit der BZO 2014 gedreht.

In der Abbildung ist die Entwicklung der Industrie- und Gewerbezonen in den Bau- und Zonenordnungen der Stadt Zürich anhand dreier Karten der Jahre 1963, 1999 und 2014 abgebildet.
Entwicklung der Industrie- und Gewerbezonen in den Bau- und Zonenordnungen der Stadt Zürich (Quelle: Erläuterungsbericht BZO 2014; «Gerechter» (AFS, 2013).

  

Die Areale in der Industrie- und Gewerbezone sind aktuell die gleichen wie 1999 und machen rund fünf Prozent der Bauzonenfläche in der Stadt Zürich aus. Dazu wurde mit der neusten BZO-Überarbeitung in einigen Gebieten der Anteil möglicher Dienstleistungsflächen gegenüber der BZO 1999 wieder eingeschränkt. Damit hat das von der Zürcher Stadtregierung 2007 grundsätzlich formulierte und 2010 räumlich konkretisierte strategische Ziel, die Standorte für Industrie und Gewerbe zu erhalten, seinen rechtsverbindlichen Niederschlag gefunden. Dies ist keine Selbstverständlichkeit angesichts von Wohnungsknappheit und Verwertungsdruck sowie der Tatsache, dass Vieles, was den hiesigen Werkplatz früher ausmachte und verschwunden ist, nicht mehr zurückkommen wird.

Produktion in der Stadt

Hinter dieser Flächensicherung in Zürich und ähnlichen Bestrebungen andernorts steht die seit einiger Zeit zu beobachtende Rückbesinnung auf die Stadt als Standort für die Herstellung und Verarbeitung von Gütern. Auf der Suche nach neuen Nutzungen für die durch die Desindustrialisierung gegen Ende des 20. Jahrhunderts entstandenen Brachflächen war die Produktion zunächst natürlich kaum ein Thema. Erst gesellschaftliche und technologische Veränderungen, die einerseits die Städte wieder als attraktiven Lebensraum in Spiel brachten und andererseits eine wenig störende, kleinteilige und innovative – «urbane» – Produktion ermöglichten, änderten dies. Das Potenzial der urbanen Produktion für eine vielfältige, lebendige Stadt der kurzen Wege mit einer diversifizierten Wirtschaft und einem breiten Arbeitsplatzangebot wurde offensichtlich, das Thema fand Eingang in die Stadtentwicklung. Ermöglicht und getrieben wird dieses Revival der Produktion in der Stadt durch drei Faktoren: erstens durch die Digitalisierung mit neuen Fertigungsmethoden und Prozessen, zweitens durch die in den Grossstädten vorhandene Nachfrage nach hochwertigen und nachhaltigen Produkten und drittens durch die hier vorhandenen spezialisierten Arbeitskräfte und Netzwerke meist kleiner Firmen, die die Entwicklung, Verarbeitung und Vermarktung dieser Güter bewerkstelligen können.

Heute ist urbane Produktion in verschiedenen westlichen Grossstädten ein Thema. Beispielsweise in Stuttgart, wo sich die Stadt vor dem Hintergrund ihrer bis heute starken industriellen Prägung intensiv mit neuen Produktionsweisen und -bedingungen und den räumlichen Konsequenzen befasst. Ein weiteres Beispiel ist Berlin. Hier untersucht und fördert eine breit abgestützte Technologiestiftung die urbane Produktion und zurzeit befasst sich die Stadt bei der Weiterentwicklung ihres Stadtentwicklungsplans Industrie und Gewerbe intensiv mit dem Thema. Auch jenseits des Atlantiks ist urbane Produktion – hier oft als «urban manufacturing» bezeichnet – auf der Agenda. Eindrücklich zeigt dies New York City, wo die Stadt das produzierende Gewerbe und die Industrie seit 2005 schützt und unterstützt. In diesem Rahmen entwickelt die Stadt unter anderem den zwischen den begehrten Wohnvierteln Dumbo und Williamsburg gelegenen, von der Marine erworbenen Brooklyn Navy Yard zu einem 120 Hektaren grossen Hotspot der urbanen Produktion.

In der Abbildung wird ein Blick in die Whiskey Destillery auf dem Gelände des Brooklyn Navy Yard gewährt.

Ein anderes Beispiel ist San Francisco. Dort hat es eine von der Stadt unterstützte private Initiative seit 2010 geschafft, mit «SFMade» eine Marke für die vielfältige urbane Produktion in der Pazifikmetropole zu etablieren.

Neuland

In der Praxis stehen die Planungs- und Bewilligungsämter im Umgang mit der urbanen Produktion wohl nicht nur in der Stadt Zürich vor kniffligen Fragen. Die nutzungsplanerische Festlegung von Zonen für gewerblich-industrielle Aktivitäten geschah einst, um die städtischen Wohngebiete vor Immissionen zu schützen. Dieser Zonenzweck ist heute meist nebensächlich, da viele Betriebe der urbanen Produktion aufgrund ihres wenig störenden Charakters auch in gemischten Zonen sein könnten. Dort ist allerdings bei grosser Flächennachfrage der Schutz vor den zahlungskräftigeren Nutzungen Wohnen und Dienstleistungen nicht vorhanden. Deshalb haben die noch vorhandenen Areale in den Industrie- und Gewerbezonen heute eine wichtige Funktion als «Preisinseln» für die Betriebe der urbanen Produktion. Allerdings bereitet die Definition von Produktionsbetrieben und damit deren Bewilligung in den Industrie- und Gewerbezonen zunehmend Schwierigkeiten.

In der Stadt Zürich müssen Firmen auf mindestens 55% ihrer Fläche effektiv produzierend tätig sein, um in diesen Zonen als Produktionsbetriebe bewilligt werden zu können. Im Zuge des insbesondere durch die Digitalisierung getriebenen Wandels der gewerblich-industriellen Arbeitswelt verschwimmen aber einst klar unterscheidbare Betriebsfunktionen wie Fertigung, IT, Schulung oder Showrooms immer mehr und stellen solche einst zweckmässige Regeln in Frage. Viele zeitgemässe Produktionsbetriebe passen nicht mehr oder immer weniger «in die herkömmlichen Kategorien der Wirtschaft. Ebenso wenig passen die benötigten Orte für diese Mischung aus Technologie, Forschung, Produktion und Vertrieb in unser traditionelles Bild einer Industrie mit rauchenden Schornsteinen und lärmenden Maschinen»*. Der urbane Werkplatz ist heute schwierig zu fassen und reicht von Betrieben des eher klassischen produzierenden Gewerbes über Hightech-Firmen bis zur Kreativwirtschaft. Entsprechend vielfältig sind die Raumbedürfnisse, Standortanforderungen und Zahlungsmöglichkeiten.

Wie mit solchen Herausforderungen umgegangen werden soll, ist aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen von Stadt zu Stadt verschieden. Sicher ist: Dort wo nicht der Ausschluss zahlungskräftigerer Nutzungen durch planungs- und baurechtliche Festlegungen für geeignete und bezahlbare Flächen für die urbane Produktion sorgt, kann es nur die Eigentümerschaft unter freiwilligem Verzicht auf mögliche Erträge. Hier spielen die Städte, wie bei der hoheitlichen Nutzungsplanung, eine wichtige Rolle zur Ermöglichung der urbanen Produktion: «Local governments must preserve manufacturing space»**.

In der Stadt Zürich beschäftigt sich ein Strategie-Schwerpunkt unter Federführung der Dienstabteilung Stadtentwicklung mit der Zukunft des urbanen Werkplatzes. Die gewichtigste räumliche Konkretisierung ist zurzeit die Transformation des einst bahnbetrieblich genutzten, vier Hektaren grossen «Werkstadt»-Areals der Schweizerischen Bundesbahnen zu einem attraktiven Gebiet für zeitgemässe urbane Produktion. Ein solches Entwicklungsvorhaben ist neu für Zürich und eine Herausforderung für die Beteiligten. Hier gilt es Antworten auf eine Vielzahl wirtschaftlicher, betrieblicher, rechtlicher, planerischer und gestalterischer Fragen im Zusammenhang mit der urbanen Produktion zu finden.

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