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Ein Tag in der Kita

Die Partizipation von Kindern aller Altersgruppen hat durch die UN-Kinderrechtskonvention eine neue und bis dahin nicht gekannte Bedeutung erfahren. In der Praxis der Kitas bedeutet dies, dass wir die Kinderrechte unabhängig vom Alter und Entwicklungsstand der Kinder im Alltag verankern. Ein exemplarischer Tagesablauf im Betreuungszentrum des Kinderhauses Entlisberg aus der Perspektive eines Kindes illustriert, wie Partizipation funktionieren kann.

Text: Christa Huber, Oliver Bärtschi, Sarah Siegrist, Symbolbilder: Stadt Zürich (SEB), Anita Affentranger

Wenn ich am Morgen in die Kita komme, lege ich mein Namenstäfeli an die Magnetwand, damit alle sehen können, wo ich anzutreffen bin. Ich verabschiede mich von meinem Papa und gehe in den Essraum. Dort darf ich entscheiden, ob und was ich frühstücken möchte. Wenn ich fertig bin, gehe ich die Zähne putzen und entscheide mich danach für ein Spiel. Habe ich heute Lust alleine zu spielen oder möchte ich etwas zusammen mit den anderen Kindern machen?

Damit sich die Kinder beteiligen können, braucht es achtsame Erwachsene, die sie verstehen und ihr Recht auf Partizipation aktiv unterstützen.

Wenn alle Kinder angekommen sind, gehen wir zusammen in den Bewegungsraum zum Morgenkreis. Dort begrüssen wir noch einmal alle und singen zusammen. Ich darf von meinem Wochenende erzählen, auch andere Kinder erzählen, was sie erlebt haben. Ich berichte von meinem Ausflug in den Zoo mit meinem Grosspapi.

Bestehende Rituale, wie Erzählen im Morgenkreis, sind gut geeignet, damit die Kinder ihre Anliegen sowie Erlebnisse in die Kindergruppe einbringen können. Die Ideen und Wünsche der Kinder werden dabei gehört und berücksichtigt. Es braucht Zeit und Geduld, dass Kinder ihre eigenen Ideen formulieren. Wenn es uns gelingt, ihre Vorschläge aufzugreifen und damit einen anregungsreichen Tag zu gestalten, sind die Kinder mit vollem Elan dabei. Und sie haben dabei gelernt, sich einzubringen und erleben sich als selbstwirksam.

Dann dürfen wir entscheiden, was und wo wir an diesem Morgen spielen. Heute haben wir als Kindergruppe entschieden, dass wir alle zusammen raus auf die Wiese oder ins Würmerland gehen. Im Sandkasten nimmt mir Max die Schaufel weg. Ich sage sofort «Stopp!» Doch Max hört mir gar nicht zu und geht weg. Dies macht mich so wütend, dass ich Max nachrenne und ihm die Schaufel wieder aus der Hand reisse. Jetzt schreien wir uns gegenseitig an. Da kommt die Betreuungsperson zu uns und fragt uns, was den los sei. Ich finde es gut, wenn jemand da ist, der mir zuhört und mir helfen kann.

Die Erwachsenen sind dafür verantwortlich, dass eine gesunde Gesprächs- und Streitkultur entwickelt wird. Durch die Möglichkeit sich zu beteiligen und sich zu beschweren, sind Kinder in der Lage gemeinsame Lösungen zu finden, Entscheidungen zu treffen und für ihre Meinung einzustehen. Wir erachten Konflikte nicht als störend, sondern als wichtiges Lernfeld. Soziales Lernen, zum Beispiel aushandeln und Kompromisse eingehen, können bei uns in einem geschützten Umfeld gelernt werden.

Kurz vor 11 Uhr kommen wir zurück, treffen uns noch einmal im Kreis und gehen danach zum Mittagessen. Ich darf aussuchen, wo und neben wem ich sitze. Ich darf auch selbständig schöpfen, wovon und wieviel ich möchte. Ich muss nichts essen, was ich nicht gerne habe oder nicht kenne.

Partizipation bedeutet, dass ein Kind über sich und seinen Körper bestimmen kann. Den Zwang, etwas zu essen, gibt es bei uns nicht. Viel mehr lernen Kinder verstehen, was ihnen guttut und was nicht und stehen für sich ein.

Nach der Mittagsruhe geht es an die Zwei-Uhr-Sitzung zur Magnettafel, wo schon viele Vorschläge für Angebote hängen. Soll ich helfen, unsere Meerschweinchen und Hasen zu füttern und das Gehege zu reinigen? Die Kinder aus dem Hort haben nach einer Anfrage wieder Tiere angeschafft und zusammen einen tollen Stall gebaut.

Die eigene Meinung vertreten, Kompromisse aushandeln und gemeinsam entscheiden – das will gelernt sein. Kinder, die aktiv mitbestimmen dürfen, erleben sich selbstwirksam und lernen, dass ihre Entscheidungen Konsequenzen haben. Allerdings nur dann, wenn die Erziehenden so mutig sind, das zuzulassen und auszuhalten.

Heute entscheide ich mich beim Zvieri-Machen zu helfen. Schnell lege ich mein Täfeli an den richtigen Ort. Danach gehe ich noch in das Bauzimmer – Täfeli nicht vergessen, sonst finden mich die BetreuerInnen nicht. Der Zvieri ist parat, ich habe aber noch keine Lust zu essen. Ich möchte lieber noch spielen. Das macht aber gar nichts, ich habe eine ganze Stunde Zeit, um Zvieri zu essen, wann immer ich will.

Eine Pädagogik auf Augenhöhe und mit einer demokratischen Gestaltung fordert und stärkt Kinder in ihrer Entwicklung zu einer eigenständigen und verantwortungsvollen Persönlichkeit. Bereits Kleinkinder können partnerschaftlich und nachvollziehbar an Entscheidungen beteiligt werden. Genauso wie bei älteren Kindern werden ihre Entscheidungen erkannt und respektiert. (Siehe Emmi Pikler, «Miteinander vertraut machen».)  Wenn man Kleinkinder bei allen Belangen des Alltags teilhaben lässt, werden sie zu aktiven PartnerInnen, z.B. in Pflegesituationen. Wir bestimmen nicht, was Kleinkinder brauchen. Wenn wir sie genau beobachten, können uns Kleinkinder auch ohne Worte mitteilen, was ihre Bedürfnisse sind. Wenn die zweijährigen Kinder, die vorher bei der Tandem-Kita waren, zu uns ins Betreuungszentrum kommen, sind wir immer wieder begeistert, wie kompetent sie sich an unserem Alltag beteiligen.

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