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Der neuen Männerüberzahl auf der Spur: Analysen nach Herkunft

Seit September 2018 wohnen zum ersten Mal seit über 180 Jahren mehr Männer als Frauen in Zürich. Die Geschlechteranteile unterscheiden sich nach Herkunft: So gibt es in der Stadt einerseits mehr Schweizerinnen als Schweizer, andererseits mehr Ausländer als Ausländerinnen. Das hat vor allem mit den Wanderungsbewegungen im letzten Jahrhundert zu tun. Von den 1910er- bis zu den 1940er-Jahren weisen die Ausländerinnen einen deutlich höheren Wanderungssaldo auf als die Ausländer; in den 1960er-Jahren ist es umgekehrt. Die schweizweiten Trends bezüglich Geschlecht und Herkunft der Wohnbevölkerung sind ähnlich wie diejenigen in Zürich; die Stadt Zürich ist jedoch aktuell die einzige grössere Schweizer Stadt mit Männermehrheit. (18. Oktober 2018 – Klemens Rosin, Judith Riegelnig)

Aktuell mehr Schweizerinnen als Schweizer und mehr Ausländer als Ausländerinnen

Aktuell leben mehr Einwohner als Einwohnerinnen in der Stadt Zürich. Es ist das erste Mal seit der Volkszählung 1836, dass in Zürich mehr Männer als Frauen wohnen. Bei der schweizerischen Bevölkerung zeigt sich jedoch ein anderes Bild als bei der ausländischen: Die Schweizerinnen waren gegenüber den Schweizern stets in der Überzahl; allerdings hat sich diese Differenz in den letzten beiden Jahrzehnten verringert (Grafik 1). Bei den Ausländerinnen und Ausländern in der Stadt Zürich gab es im Jahr 1960 eine Trendumkehr: Zuvor gab es mehr Frauen, seither mehr Männer.

Grafik 1: Wohnbevölkerung der Stadt Zürich nach Geschlecht und Herkunft (1934: zweite Eingemeindung)

Grossräumige Ereignisse prägen die Geschlechteranteile in der Stadt Zürich

Die Zusammensetzung der Stadtzürcher Wohnbevölkerung nach Geschlecht hängt stark davon ab, wie viele Frauen und Männer zu- respektive wegziehen. Bei letzteren gibt es deutliche Unterschiede nach Herkunft: Grundsätzlich haben Schweizerinnen und Schweizer seit 1960 negative, Ausländerinnen und Ausländer positive Wanderungssaldi. Das Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte war darauf zurückzuführen, dass die Zunahmen bei den Ausländerinnen und Ausländern die Abnahmen bei den Schweizerinnen und Schweizern überstiegen.

Nach Geschlecht schwankt der Wanderungssaldo bei Menschen mit ausländischer Herkunft beträchtlich: In den 1910er-Jahren zogen viele Männer aus Zürich weg (Grafik 2). Alleine bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 betrug der Wanderungssaldo ausländischer Männer minus 5700 Personen (Grafik 3). Mehr als die Hälfte davon waren Männer im Alter von 15 bis 29 Jahren, die wohl in den Krieg einrücken mussten. Im Jahr 1914 war der Wanderungssaldo vor allem bei Frauen und Männern aus Deutschland und Italien stark negativ (–4700 respektive –3000 Personen). Die Ausländer wiesen nicht bloss in den 1910er-, sondern auch in den 1920er-Jahren negative Wanderungssaldi auf. Anders bei den Ausländerinnen: Insbesondere in den 1910er- bis 1930er-Jahren zogen mehr Frauen nach Zürich als aus der Stadt weg. Viele davon arbeiteten als Bedienstete, im Gastgewerbe oder in der Industrie. In dieser Zeit gab es viele Zuzüge aus dem Süden Deutschlands. Beispielsweise zogen 1929 fast 3100 Ausländerinnen aus dem Ausland nach Zürich. Etwa 2000 kamen aus Deutschland, davon über 1500 aus dem süddeutschen Raum (Baden, Württemberg, Bayern). Von den 1929 zugezogenen berufstätigen Ausländerinnen arbeiteten 63 Prozent als Bedienstete und 17 Prozent im Gastgewerbe. In den 1930er-Jahren zogen auch viele Schweizerinnen nach Zürich. Diese starken Zuzüge von Schweizerinnen und Ausländerinnen führten dazu, dass die Generation der damals 20- bis 40-Jährigen mehrheitlich weiblich war.

Während des Zweiten Weltkriegs – die Schweizer Grenze war mehrheitlich geschlossen – waren die Wanderungssaldi der Ausländerinnen und Ausländer leicht negativ. Das änderte sich schlagartig nach Kriegsende, als vor allem viele Ausländerinnen nach Zürich zogen (Wanderungssaldo von +3700 Frauen im Jahr 1947). Das führte zu einer weiteren Erhöhung des Stadtzürcher Frauenanteils. Von den im Jahr 1947 zugezogenen Frauen kamen knapp 3500 aus Italien, 1300 aus Deutschland.

Starke Zuwanderung von Ausländern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

In den 1960er-Jahren setzte die mehrheitlich männliche Zuwanderung aus Südeuropa ein. Im Jahr 1961 betrug der Wanderungssaldo der Ausländer über 4000 Personen, bei den Ausländerinnen im gleichen Jahr lediglich 2300. Besonders stark war die Zuwanderung aus Italien: Von den knapp 56 000 Zuzügen im Jahr 1961 kamen fast 14 000 aus Italien, wobei die Männer gegenüber den Frauen klar in der Mehrheit waren. Bereits im Jahr 1960 war der Zuzug aus Italien beträchtlich; damals standen 10 000 Italienern 4000 Italienerinnen gegenüber. Von den 1961 zugezogenen Ausländern arbeiteten 5400 im Baugewerbe und 3800 in der Metall- und Maschinenindustrie. Die überwiegend männliche Zuwanderung aus dem Ausland führte Anfang der 1960er-Jahre zu einer Umkehr des Geschlechterverhältnisses bei Ausländerinnen und Ausländern; von nun an waren die ausländischen Männer in der Mehrheit. Die Auswirkungen der Balkankonflikte in den 1990er-Jahren verstärkten dies zusätzlich. Im Jahr 1991 betrug der Wanderungssaldo bei Ausländern fast plus 4000 Personen. Von den 21 000 Zuzügen aus dem Ausland im Jahr 1991 kamen über 5000 aus dem damaligen Jugoslawien. 1991 zogen deutlich mehr Männer als Frauen nach Zürich (23 000 respektive 16 000); von den Männern waren fast 15 000 ledig. Unter den 39 000 Zuzügen war die Altersklasse der 20- bis 29-Jährigen klar am stärksten vertreten (21 000 Personen), gefolgt von den 30- bis 39-Jährigen (8000 Personen). Die Wanderungsbewegungen der 1980er- und 1990er-Jahre bewirkten, dass Zürich jünger wurde und der Männeranteil zunahm. Seit den 2010er-Jahren sind die Wanderungssaldi bei Frauen und Männern praktisch gleich hoch – sowohl bei Schweizerinnen und Schweizern als auch bei Ausländerinnen und Ausländern.

Grafik 2: Wanderungssaldo nach Geschlecht, pro Jahrzehnt (Einheiten der Werte: Mittel pro Jahr)

Grafik 3: Wanderungssaldo nach Geschlecht, pro Jahr

Weiterhin Frauenmehrheit in der gesamten Schweiz und in den anderen Städten

Wie sieht die Entwicklung in der gesamten Schweiz aus? In den letzten gut hundert Jahren waren die Frauen stets in der Mehrheit. Schweizweit gibt es keine Trendumkehr zu mehr Männern; aktuell machen Frauen 50,4 Prozent der Wohnbevölkerung aus. Wie in der Stadt Zürich stellen auch schweizweit die Frauen die Mehrheit bei Menschen mit Herkunft Schweiz (Grafik 4). Und wie in Zürich kam es auch in der gesamten Schweiz im Jahr 1960 zu einem Wandel bei den Ausländerinnen und Ausländern: Zuvor gab es mehr Frauen, danach mehr Männer.

Grafik 4: Ständige Wohnbevölkerung der Schweiz nach Geschlecht und Herkunft

Unter den zehn grössten Schweizer Städten ist Zürich diejenige mit dem geringsten Frauenanteil (50,2 % per Ende 2017), gefolgt von Winterthur (50,9 %), St. Gallen (51,0) und Biel (51,2 %). Bei den grössten Schweizer Städten ist zwar der Männeranteil bei den Ausländerinnen und Ausländern höher als bei den Schweizerinnen und Schweizern. Dennoch kann von einem hohen Ausländeranteil nicht auf einen geringen Frauenanteil geschlossen werden: So haben Genf und Lausanne mit 47,9 respektive 43,2 Prozent einen deutlich höheren Ausländeranteil als Zürich (32,5 %), jedoch höhere Frauenanteile als die Limmatstadt (Genf: 51,9 %, Lausanne: 51,7%). Fazit: Schweizweit wie auch in neun der zehn grössten Schweizer Städte sind die Frauen in der Überzahl; einzig in der Stadt Zürich sind aktuell die Männer in der Mehrheit.

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