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Der Hafenkran (April 2014 - Januar 2015)

Hafenkran

Der Hafenkran: Ein Kunstprojekt von zürich-transit-maritim

Jan Morgenthaler, Barbara Roth, Martin Senn und Fariba Sepehrnia

Das Team zürich-transit-maritim

Informationen und Links zum Hafenkran

Künstlergruppe

Ausführliche Informationen zur Künstlergruppe und zum Projekt zürich-transit-maritim sind auf der entsprechenden Website zu finden.
Künstlergruppe: zürich-transit-maritim

Gespräch zum Hafenkran

Zur Verabschiedung des Hafenkrans veranstaltete KiöR eine öffentliche Diskussion mit Vertreter/innen aus Kunst, Politik und Wirtschaft.
TATORT KiöR: Hafenkran - Kunst mit Signalwirkung

Zur Vorgeschichte des Hafenkrans

Das Kunstwerk als Phantasma

Seit das Projekt zürich-transit-maritim, gemeinhin DER HAFENKRAN", 2008 einen Kunstwettbewerb der Stadt Zürich gewonnen hat, ist er in aller Munde. Es gibt wohl kein anderes Kunstwerk, das in den letzten 50 Jahren in Zürich derart vielfältige und starke Reaktionen hervorgerufen hat – nicht einmal Jean Tinguelys "Heureka", Max Bills "Pavillonskulptur" oder zuletzt der "Cube" von Sol LeWitt, um dessen Standort in der Limmatstadt in den 1980er Jahren eine heftige Auseinandersetzung geführt wurde.

Warum ist das so?

Wenn über die Bedeutung des Projektes befunden wird, muss nicht die Kunst per se verhandelt werden, sondern zuallererst über diese Frage nachgedacht werden. Warum hat ein Werk im öffentlichen Raum, also ein öffentliches Werk derart polarisiet? Wie ist es einer aus mehreren Eskalationsstufen geformten  Inszenierung gelungen, derart vielfältige Gefühle, Reflexionen und Handlungen zu erzeugen?

Eine entscheidende Rolle in diesem präzise ausgedachten Spiel von künstlerischer Aktion und öffentlicher Reaktion spielen Standort und Kontext – ergo der komplett öffentliche Charakter der Aktion und die Stadt Zürich als sozialer, politischer und kultureller Körper. Über diesen Kontext, der einen integralen Bestandteil des Kunstwerks bildet, soll im folgenden nachgedacht werden.

Der politische Resonanzraum konnte seit  Ende der Nullerjahre für einen öffentlichen Kulturkampf kaum besser sein. Zürich, ja die gesamte Schweiz, befindet sich in einem Umbruchsprozess, debattiert über Zuwanderung, Ecopop, Finanzkrise, Dichtestress, 2000-Watt-Gesellschaft oder Sozialschmarotzertum. Der politische Zeitgeist steht auf Debatte und Diskurs, statt auf Harmonie und Einigkeit. Und seit dem Hirschhorn-Streit im nationalen Parlament haben die Rechte wie die Linke mitbekommen: mit Kultur kann Politik gemacht werden. Da kommt ein rostiger Hafenkran gerade richtig. Er wird zum greifbaren Symbol, ja zur Projektionsfläche für eine ganze Reihe von Themen, mit denen sich die Politik befasst.

1. Finanzpolitik
Zuoberst steht die Verschwendung von Steuergeldern, über die im Zürcher Parlament von 2009 bis 2014 anhand des Hafenkrans mit ritualhafter Regelmässigkeit debattiert wird. Muss an einer Stelle gespart werden – und es musste einiges gespart werden –, verlauten die Betroffenen:: "Aber für den Hafenkran, für den habt ihr Geld ...".

2. Globalisierung
Gut zum politischen Klima passt auch, dass der Kran aus Rostock stammt und darum ein "fremder Fötzel" ist. Für die Linke symbolisiert das "Weltoffenheit", für die SVP und ihre Symphatisanten steht der Kran für die seit dem Schweizer Beitritt zum Schengenraum erfolgte starke Zuwanderung mit ihren Folgen. Dieselbe Sache wird aus unterschiedlicher Perspektive eben anders wahrgenommen.

3. Historische Deutungshoheit
Dazu gehört auch das Thema der Geschichtsschreibung, bzw. die Deutungshoheit über das historische Kapital der Stadt Zürich. Der Hafenkran am Limmatquai unternimmt schliesslich den Versuch, diese Geschichte neu zu denken – und das in direkter Nachbarschaft zu den Stadtheiligen Zwingli und Waldmann, zu Zünften und Banken, zu Frau- und Grossmünster. Das muss Widerspruch provozieren. Zumal der Kampfruf der 1980er Jugendbewegung – "Freie Sicht aufs Mittelmeer" – die Exponenten einer wertkonservativen Politik zur Weissglut treibt, weil eben jene 1980er Generation mit alternativen Wertesets heute an den Hebeln der Macht sitzt und die einst in Zürich regierende Freisinnigen in die Opposition gedrängt hat.

Muss sich ein Hafenkran die Moralfrage stellen lassen?

In Zürich schon. Es ist nämlich eine Ironie des Schicksals, dass das in Zürich installierte Gerät einst eingesetzt wurde, um im Rostocker Hochseehafen Waffen zu verladen, die für afrikanische Bürgerkriegsregionen bestimmt waren. Dass die SVP daraus eine parlamentarische Anfrage zimmerte, mit deren Beantwortung sich die städtische Verwaltung zu beschäftigen hatte, bereichert zwar die Hafenkran-Saga um ein weiteres munteres Kapitel, mutet aber hinsichtlich der Steuergeld-Debatte an wie ein Schildbürgerstreich.

4. Stadt-Land-Paradox
Spaltpilz-Qualitäten weist der Kran schliesslich auch hinsichtlich der Stadt-Land-Thematik auf. Auf der einen Seite der tendenziell wertkonservative Zürcher Ober- und Unterländer, der über den sogenannten Lastenausgleich ebenfalls Steuergelder in die Metropole überweist; dort der progressive Städter, der die auf dem Land hart erarbeiteten Franken mit künstlerischem Unfug verprasst.

5. Kulturkampf und Kunst-Marketing
Aber auch Kulturbegriff und Kulturszene werden vom Hafenkran auf den Prüfstand gestellt. Die politische und vor allem die mediale Polarisierung zwingt die sonst eher indifferenten Kultur-Akteure zur Stellungnahme. Wenn in Parlament und Medien soviel verhandelt und gestritten wird, gilt es den Kulturbegriff zu verteidigen, bzw. den Versuch zu unternehmen, diese komplexe und widersprüchliche Grösse überhaupt erst mal zu klären und zu veröffentlichen.

Wenn heute einem grösseren Teil der Zürcher Bevölkerung Begriffe wie "ready made" und Künstlernamen wie Marcel Duchamp fliessend über die Lippen kommen, dann ist das ein Nebeneffekt der Hafenkran-Debatte. Selbst innerhalb der SVP sind solch avantgardistische Termini nicht mehr wegzudenken wie diverse Voten im städtischen Parlament belegen.

Trotzdem muss konstatiert werden, dass sich die Zürcher Kulturszene mit dem Kran lange sehr schwer getan hat. Sukkurs erhielt das Projekt nicht aus etablierten Kulturkreisen, also nicht von den Hochschulen oder zahlreichen und namhaften Kunstinstitutionen. Das hat vorab mit zwei Faktoren zu tun: die Künstler sind keine bekannten Akteure und das Projekt weist im Vergleich zu dieser Reputation eine leicht grössenwahnsinnige Behauptungsdimension auf. Im Zusammenspiel mit dem in der Kulturszene weit verbreiteten Anti-Reflex für Auftragskunst, ist dem Hafenkran also auch Opposition aus den eigenen Reihen erwachsen.

6. Mediale Geländegängigkeit
Wenn wir über die Wirkungsgeschichte des Hafenkrans nachdenken, muss vor allem auch über die Bedeutung der Medien nachgedacht werden. Wie konnte es passieren, dass aus einem vergleichsweise kleinen finanzpolitischen Un- und Zufall eines der grössten Medienereignisse der letzten Jahre entstand? 

Es gibt keine einfache Antwot auf diese Frage. Aber eine entscheidende Rolle spielt das Kunstwerk selbst, also der Kran, dessen konzeptuelle Anlage eine grosse narrative und poetische, ja phantasmatische Dimension besitzt. Die Dramaturgie des Hafenkrans ist ein Kunst-Theater in mehren Akten, die sich nicht in einer langen zeitlichen Dimension in den Stadtraum hinein entwickelt. Dieses auf eine lange Dauer angelegte Potenzial haben die Medien erkannt und in vielfältiger Weise als Ausgangspunkt fürs "story telling" benutzt. People, Money, Crime und Politics – der Hafenkran ist ein Spiegel aller heutigen relevanten medialen, kulturellen wie gesellschaftlichen Begehrlichkeiten.

Und darum ist er ein für unsere Zeit relevantes Kunstwerk.

Christoph Doswald
Unabhängiger Kurator und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich
 

aus: "Zürich Transit Maritim - Denkmal an die Schwerkraft, Über Rost, Welthandel und Zürichs nostalgische Beziehung zum Hafenkran", Kunst und Bau Nr. 2, Vexer Verlag St.Gallen


 

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