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Kinder und Schule

Mit dem schnellen Bevölkerungswachstum vor und nach der Stadtvereinigung 1893 stand das städtische Schulwesen vor enormen Herausforderungen. Für die schnell wachsende Bevölkerung musste neben anderen Infrastrukturen auch genügend Schulraum zur Verfügung gestellt werden. Heute, nach dem starken Einwohnerwachstum des vergangenen Jahrzehnts, das sich fortsetzen wird, steht die Stadt wieder vor derselben Herausforderung – nun aber mit weniger Landreserven.

Geburtenzahlen

Der wichtigste Grund für die Stadtvereinigung war, dass die schnell wachsenden Vorortsgemeinden finanziell kaum mehr in der Lage waren, die notwendigen Infrastrukturen bereit zu stellen. So kamen 1885 in der Gemeinde Aussersihl 84 Schüler und Schülerinnen auf eine Lehrperson. Nach der Stadtvereinigung verdoppelten sich die Geburtenzahlen innert weniger Jahre auf über 5000. Um 1900 kam es zu einem Rückgang der Geburten, obwohl immer mehr Frauen im gebärfähigen Alter in Zürich lebten. Aber erst seit dem Ersten Weltkrieg gingen auch die Schülerzahlen zurück. Nach der zweiten Eingemeindung 1934 stieg die Geburtenzahl wieder, da in den neuen Stadtquartieren überall Familiensiedlungen entstanden. 1961 wurde mit 6147 Geburten ein Allzeithoch erreicht. Nach dem Pillenknick gingen die Geburten stark zurück, bis sich ab dem Jahr 2000 wieder grössere Jahrgänge herausbildeten.

Geburten in der Stadt Zürich

Krippen und Horte

Zur Zeit der Stadtvereinigung kam die Sorge auf, dass zahlreiche Stadtkinder nicht die nötige Betreuung erhielten. Viele Mütter mussten einer Erwerbstätigkeit nachgehen, da die Löhne niedrig und die Preise hoch waren. 1895 eröffnete der Gemeinnützige Frauenverein (heute Stiftung GFZ) die erste Krippe in Zürich, als in den Städten der Westschweiz sowie in Basel und Bern bereits entsprechende Institute existierten. In der Gegenwart haben Krippen und Horte den Beigeschmack einer Sozial- oder Erziehungsinstitution verloren und gelten als Errungenschaft zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So gibt es heute in Zürich rund 300 Kindertagesstätten mit 9600 Betreuungsplätzen. Der Anteil der Vorschulkinder, die in Krippen betreut werden, stieg seit 1995 von 15 auf 69 Prozent.

Um 1900, Kinderkrippe der Stiftung GFZ (Gemeinnütziger Frauenverein Zürich) mit Krippenarzt (Quelle: Sozialarchiv)
Um 1900, Kinderkrippe der Stiftung GFZ (Gemeinnütziger Frauenverein Zürich) mit Krippenarzt (Quelle: Sozialarchiv)

Nach der Stadtvereinigung 1893 fanden auch erste Kinderhorte Verbreitung – private Institutionen, die die Schulkinder nach dem Schulunterricht betreuten. Auch hier stand anfänglich die «Bekämpfung der Verwahrlosung» und die Absicht, erzieherisch zu wirken, im Vordergrund. Ab 1911 gab es erste Tageshorte, und 1929 übernahm die Stadt den Betrieb dieser Einrichtungen. Während des Zweiten Weltkriegs verdoppelte sich die Zahl der betreuten Schulkinder, bevor sie in den 1950er Jahren wieder auf das frühere Niveau von 1000 bis 2000 zurückgingen. Seit Ende der 1980er und besonders in den letzten zwanzig Jahren steigt die Zahl indes wieder stark an. Heute besuchen über 16 000 respektive 56 Prozent der Kindergarten- und Schulkinder eine entsprechende Einrichtung.

Hortkinder

Schulhäuser

Mit einem Jahrzehnt Verzögerung folgt die Entwicklung der Schülerzahlen der Geburtenhäufigkeit. Trotz des Rückgangs der Gebärfreudigkeit um 1900 erreichte die Zahl der Schulkinder erst 1915 ihren Höhepunkt. Damals kamen auf 100 Einwohner fast 13 Schülerinnen und Schüler der Volksschule (ohne Kindergarten) – heute sind es kaum noch 6. Viele monumentale Schulhäuser in der Stadt Zürich stammen aus den ersten 20 Jahren nach der Stadtvereinigung 1893. Die repräsentative Erscheinung solcher Bauten wie die des Hirschengrabenschulhauses von 1895 zeigt symbolisch, welchen Stellenwert die Schule in der Gesellschaft hatte. Zu dieser Zeit wurden beim Bau von Schulhäusern auch schon Ideen der Reformpädagogik und der Hygienebewegung berücksichtigt. Viel Licht und Luft in den Schulzimmern, erste Schulduschen und Turnhallen sollten die Volksgesundheit stärken.

Primarschulhaus Seefeld in Riesbach, erbaut 1846-53, Typus «Normalschulhaus» nach Anleitung des Regierungsrates zur Erbauung von Schulhäusern, aufgenommen 2003
Primarschulhaus Seefeld in Riesbach, erbaut 1846-53, Typus «Normalschulhaus» nach Anleitung des Regierungsrates zur Erbauung von Schulhäusern, aufgenommen 2003

Schon vor über 100 Jahren kamen die Behörden kaum mit dem Bau von Schulraum nach. So entstanden Schulraumprovisorien, die teilweise bis heute Bestand haben, auch wenn sie – wie etwa die Schulbaracke Kanzlei von 1904 – heute einem anderen Zweck dienen.

1904 erbaute Schulbaracke neben dem Schulhaus Kanzlei in Aussersihl
1904 erbaute Schulbaracke neben dem Schulhaus Kanzlei in Aussersihl

In den 1934 eingemeindeten Vororten wurden bereits neue Schulhäuser gebaut, als die Bebauung der neuen Quartiere erst anlief. Das Witikoner Schulhaus Langmatt von 1933 ist ein solches Beispiel. Es illustriert auch, wie sich die Ideale im Schulhausbau weiter entwickelten. Nicht unbedingt repräsentativ sollte jetzt das Schulhaus sein, sondern die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt stellen. Licht, Luft, Bewegung und Zugang zum Freien waren gefragt, und das Pavillonsystem mit kleineren Schultrakten sowie Pausen- und Turnhallen setzten sich allmählich durch.

Schülerinnen und Schüler Volksschule (ohne Kindergarten)

Mit dem allmählichen Wiederanstieg der Schülerzahlen seit den 1990er Jahren wurde der Schulhausbau wieder dringlich. Neue Anlagen legen Wert auf die polyvalente Raumnutzung und die integrative Förderung mit verschiedenen Lehrformen und Gruppengrössen.

Schulklassen

In den Fotos von Schul- und Kindergartenzimmern zeigt sich die Entwicklung des 20. Jahrhunderts vom streng ausgerichteten Frontalunterricht grosser Klassen zu kleineren, lichtdurchfluteten Räumen mit flexiblen Einrichtungen. Auch das Mobiliar wurde beweglich, an die Stelle von fest mit dem Pult verbundenen Bänken traten in der Zwischenkriegszeit individuell anpassbare Stühle.

1913, Klassenzimmer im Schulhaus Hans Asper in Wollishofen
1913, Klassenzimmer im Schulhaus Hans Asper in Wollishofen

Klassen

Bis 1900 waren Klassengrössen von 60 Kindern üblich, danach fielen sie stetig, bis 1980 erstmals das heutige Mittel von 20 Kindern erreicht wurde. Mit der Abschaffung der Kleinklassen hat die durchschnittliche Klassengrösse in letzter Zeit wieder leicht zugenommen.

Klassenfotos waren in der Frühzeit der Fotografie noch etwas Besonderes, wurden aber seit den 1920er Jahren zum wiederkehrenden Ereignis im Jahresverlauf. Wer möchte sich Jahrzehnte später nicht an seine Kameradinnen und Kameraden erinnern? Das Staatsarchiv des Kanton Zürich führt das so genannte Klassenfotoarchiv mit Fotografien von Schulklassen und Lehrpersonen, die im Zeitraum von 1927 bis 1990 von den beiden Fotografen Hubert Haagmans (1884–1968) und Walter Haagmans (1923–2005) aufgenommen wurden. Die Fotos können online durchforstet und bestellt werden. In der folgenden Bildstrecke einige Beispiele:

1929, Klassenfoto aus der Primarschule Sihlfeld in Aussersihl (Quelle: Staatsarchiv des Kantons Zürich)
1929, Klassenfoto aus der Primarschule Sihlfeld in Aussersihl (Quelle: Staatsarchiv des Kantons Zürich)

Gesundheit

In der neu vereinigten Stadt wurden schon früh Turnhallen in die Schulanlagen integriert, denn die Schulkinder sollten auch zur körperlichen Ertüchtigung angehalten werden.

1898, Turnhalle des Schulhauses Klingenstrasse in Aussersihl
1898, Turnhalle des Schulhauses Klingenstrasse in Aussersihl

Mit der Stadtvereinigung 1893 führte Zürich als erste Schweizer Stadt das Amt eines Stadtarztes mit schulärztlichen Kompetenzen ein. Alle neu eintretenden Primarschülerinnen und -schüler wurden auf Seh- und Hörschwächen untersucht und gegebenenfalls zu einem Facharzt geschickt. Bald erkannten die Schulärzte, dass viele Kinder unter massiven Zahnproblemen litten, und so wurde 1908 in Zürich die erste Schulzahnklinik der Schweiz eröffnet. 

1908, Erste Schulzahnklinik der Stadt Zürich an der Lindenhofstrasse 4 in der Altstadt
1908, Erste Schulzahnklinik der Stadt Zürich an der Lindenhofstrasse 4 in der Altstadt

Lehrmittel

Zum Schluss ein Blick auf die sich wandelnden Lehrmittel. Ausgehend vom früheren Leitgedanken der Erziehung zum guten Christen und Staatsbürger entwickelte sich im 20. Jahrhundert ein Zielbild der Schule als Begleiterin zum mündigen Menschen in einer vielfältigen Welt. Eine Etappe auf diesem Weg war der Lehrplan 1905, der die Realien einführte und damit die wissenschaftliche Weltsicht einbrachte. Der Französisch-Unterricht fand nach dem Ersten Weltkrieg Verbreitung, nachdem es in der Kriegszeit zu ernsthaften Spannungen zwischen der Deutsch- und Westschweiz gekommen war.

1895, Sammlung von Volksgesängen für den Männerchor
1895, Sammlung von Volksgesängen für den Männerchor

Lesehinweis

Vertiefte Informationen zur Entwicklung des Zürcher Schulwesens bietet die Publikation Schule macht Geschichte, 175 Jahre Volksschule im Kanton Zürich 1832-2007, Zürich 2007

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