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Der Assistenzarzt: 1000 Fäden in der Hand

Zahlreiche Mythen ranken sich um den Arztberuf. Serien zeigen uns wahlweise als liebenswerte Chaoten (Scrubs), clevere Soziopathen (Dr. House) oder aber als Halbgötter in Weiss (Grey’s Anatomy). Ich muss zugeben, ich hatte keine Vorstellung, was mich erwarten würde, als ich mich zum Numerus clausus einschrieb.

Simon Weinmann, Assistenzarzt am Stadtspital Waid

Ich war an der Materie interessiert, wollte einen Beruf mit viel zwischenmenschlichem Kontakt ausüben und mir nicht jeden Morgen die Motivationsfrage stellen müssen. Meine Berufswahl war somit weniger vom eigentlichen Berufsbild geprägt, als von meiner Erfahrung, dass mich Helfen erfüllt. Bereits früher war ich stets zugegen, wenn jemand Hilfe benötigte; und manchmal wurde mir schmerzlich bewusst, dass man nicht immer helfen kann. Als ich 15 Jahre alt war, starb eine ältere Frau am Bahnhof in meinen Händen an einer Hirnblutung. Ich kam zur Einsicht, dass man nicht alles verhindern, aber zumindest danach streben kann, besser im Helfen zu werden.

Das Studium war fordernd, spannend und umfassend. Trotzdem konnte es mich nicht vorbereiten auf das, was darauf folgen sollte. Es bestand vor allem darin, den Menschen als Organismus zu verstehen, Krankheiten als Mechanismen, Therapien als Prinzipien. Es war viel Theorie, wenig Greifbares. Der Kontakt zu Patientinnen und Patienten beschränkte sich auf kurze, viertelstündige Befragungen oder Untersuchungen.

Die ersten tieferen Einblicke in die Tätigkeit eines Arztes bekam ich erst im Unterassistentenjahr, nach vier Jahren Studium. Es bestand aus einem Sammelsurium an ärztlichen Tätigkeiten, vergleichbar mit Schnupperlehren, in denen man für kurze Zeit zuerst einer Gärtnerin, dann einem Kindergärtner und darauf einem Bankier über die Schulter schauen kann. Nur waren es in diesem Falle Anästhesisten, Psychiaterinnen, Chirurgen, Gynäkologinnen und Allgemeinmediziner. Ich entschied mich schliesslich für Letzteres, wohlwissend, dass ich im Kern keine Ahnung hatte, was mich da erwarten würde.

Am ehesten lässt sich der Beruf des internistischen Assistenzarztes als Knotenpunkt des Spitals beschreiben. Wir sammeln die Informationen, die uns von den Patientinnen und Patienten, vom Pflegepersonal, von den Angehörigen, Rettungsdiensten, Hausärzten, Spezialistinnen und durch die Akten zur Verfügung gestellt werden. Wir filtern und interpretieren diese Daten, fassen sie zusammen, schreiben sie nieder und entscheiden uns nach der körperlichen Untersuchung für die notwendigen diagnostischen Schritte wie Labor und Röntgenuntersuchungen. Wir versuchen dabei ein Gesamtbild über die Probleme des Patienten oder der Patientin zu erstellen und legen uns gemeinsam mit den Kaderärztinnen und -ärzten auf ein weiteres Vorgehen fest.

Auf der Station besteht meine Aufgabe als Assistenzarzt nun darin, den Krankheitsprozess zu überwachen, zu dokumentieren und einzuschätzen – und allenfalls einzugreifen. Häufig werden weitere Untersuchungen notwendig oder Therapien müssen angepasst werden. Auch viele Gespräche mit allen beteiligten Parteien gehören dazu, mit der Pflege, den Angehörigen, den Spezialisten, der Hausärztin, den verschiedenen Therapeuten. Der Assistenzarzt ist das Mädchen für alles. Eine Rolle, die einerseits sehr fordernd, aber auch sehr spannend ist. Praktisch alle Fäden mit unterschiedlichen Bedürfnissen laufen bei uns zusammen, gewoben um die Personen, um welche es im Kern geht: die Patientinnen und Patienten.

Die Kunst in diesem komplexen Prozess besteht darin, nicht zu vergessen, dass man nicht eine Diagnose behandelt, sondern einen Menschen. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Patientinnen und Patienten in diesem ganzen, teilweise für sie undurchsichtigen und schwierig verständlichen Diagnose- und Therapieprozess nicht verlieren, sondern sich ernst genommen fühlen und informiert werden. Kein Mensch ist zufrieden, wenn seine Krankheit behandelt wurde, man aber nicht auf seine Fragen, seine Ängste und seine engsten Angehörigen eingegangen ist.

Begleitend kommt die eigene emotionale Ebene dazu, die häufig in den Hintergrund treten muss. Von uns wird erwartet, dass wir den teilweise schwierig zu ertragenden Schicksalen mit nüchterner Sachlichkeit begegnen, Mitgefühl zeigen, aber Mitleid unterlassen. Dass auch wir Gefühle mit nach Hause nehmen und verarbeiten müssen, wird häufig vergessen.

Diese emotionalen Ebenen auf der Patienten- wie auch der Ärzteseite sind schwierig theoretisch zu erfassen. Sie sind komplex, brauchen Erfahrung und Talent, Anleitung und Teaching; und sie brauchen eine Aufmerksamkeit, welche in der hochtechnologisierten Medizin nicht selten vergessen geht. Wir behandeln Menschen – trotz allem Interesse an den technischen Aspekten der Medizin ist es diese Seite, die mich weiterhin am meisten fasziniert. Weil Krankheiten immer wieder die gleichen sein können, die Menschen jedoch nie.

Wenn mich jemand also fragen würde, was ich im Stadtspital Waid gelernt habe, könnte ich viel Technisches und Fachliches aufzählen, doch im Kern würde ich sagen: nicht zu vergessen, Mensch zu sein.

Steckbrief

NameSimon Weinmann 

Alter

30 Jahre

 

Stellenantritt  im Stadtspital  Waid

Im Mai 2015. Es ist meine zweite Stelle als Assistenzarzt. Zuvor war ich im Spital Männedorf auf der Chirurgie.

 

Einsatzgebiete im Stadtspital Waid

Innere Medizin, Intensivstation, Notfallstation und Diagnostik. 

In 20 Jahren

Bin ich entweder Internist, Notarzt bei der Rega oder Hausarzt.

 

Hobbys

Sport – insbesondere Skateboard, Snowboard, Kitesurfen und Kampfsport. Reisen. Schlafen.

 

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