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Interview mit Barbara Josef

Interview mit Barbara Josef zum Thema neue Arbeitswelten, Co-Working Spaces und deren Einfluss auf unsere Mobilität.

Bild: pixabay.com

Frau Josef, Sie sind Co-Founderin von 5-9 und widmen sich dem Thema Zukunft der Arbeit. Neue Arbeitsmodelle haben in der Schweiz Konjunktur. Begriffe wie Home-Office, Mobile-Office oder Desk-Sharing haben sich bereits in zahlreichen Unternehmen etabliert. Auch Co-Working Spaces werden in der Schweiz immer populärer. Deshalb als erstes die Frage an Sie: Was sind Co-Working Spaces und inwiefern unterscheiden sie sich von den gesetzten Formen wie dem Gemeinschaftsbüro oder den Business Centers?

Co-Working Spaces sind Orte, die Menschen auf Zeit einen Arbeitsplatz anbieten. Der Begriff wurde  2005 mit dem «Spiral Muse» in San Francisco durch Brad Neuberg geprägt; 2007 wurde im Zürcher Steinfels Areal mit dem «citizen space» der erste Schweizer Co-Working Space eröffnet. Natürlich kann man jetzt sagen, das gab es schon früher in Form von Gemeinschaftsbüros oder Business Centers, die tatsächlich eine Art von Vorläufer dieser Bewegung sind. Beim Gemeinschaftsbüro ist aber der Unterschied, dass ich einen fixen Anteil pro Monat zahle, unabhängig davon, wie oft ich das nutze. Zudem kann ich nicht an verschiedenen Orten arbeiten gehen, sondern nur an dem einen. Die Business Centers, wie dies zum Beispiel viele Flughäfen anbieten, unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass es prinzipiell nur ein Schreibtisch mit Dienstleistungen ist - die Gemeinschaft, Vernetzung und der Austausch vor Ort spielt dabei keine Rolle.

Zusammengefasst sind Co-Working Spaces also Orte, an denen digitale Nomaden, d. h. Menschen die von überall aus arbeiten können, eine inspirierende Arbeitsumgebung und in den meisten Fällen auch eine Einbettung in eine Gemeinschaft finden.

Eine mögliche Alternative wäre für diese Leute das Home Office – oft fällt der Entscheid aber bewusst zugunsten eines Co-Working Spaces aus, warum?

Die Begründer der Co-Working Bewegung sind Startups und Freelancer, die sich mit der Hoffnung «working alone, together» zusammengeschlossen haben. Für diese Menschen wäre das Home Office zwar eine möglich Alternative, aber die meisten suchen bewusst die Vernetzung und den Austausch mit anderen, auch um einer möglichen sozialen Isolation entgegenzuwirken. Darüber hinaus spielt für viele die räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben, aber auch das Thema «geregelte Tagesstruktur» eine wichtige Rolle.

Früher waren viele Jobs, von Assistenzarbeiten bis hin in höchste Kader, untrennbar mit dem Arbeiten im Büro verbunden. Hat der digitale Wandel das Potenzial, Co-Working Spaces zum Durchbruch zu verhelfen?

Früher gab es viel weniger Wissensarbeiter, also Menschen, ob angestellt oder selbstständig, die nicht für ihre körperliche Arbeit und manuellen Fähigkeiten bezahlt werden, sondern für die Anwendung ihres erworbenen Wissens. Dass sich Arbeit von Zeit und Raum entkoppeln lässt, ist ein relativ neues Phänomen. Momentan haben in der Schweiz rund 44 % der Erwerbstätigen einen wissensintensiven Job – das ist im internationalen Vergleich ein sehr hoher Anteil, in den USA sind es 36 %, in der EU 38 %. Daher ist für unsere Volkswirtschaft die Frage, welche Rahmenbedingungen wir den Wissensarbeitern, bzw. digitalen Nomaden zur Verfügung stellen eine sehr wichtige. Nicht nur im Hinblick auf das Wohlbefinden dieser Menschen, sondern auch auf die Wettbewerbsfähigkeit des Denk- und Innovationsstandortes Schweiz. Und hier spielt Co-Working eine wichtige Rolle – als «Hub» und Symbol für die neue Wirtschaft.

In einer Studie aus dem Jahr 2016 betonen Sie, dass qualifizierte Erwerbstätige zunehmend autonomer in der Gestaltung ihrer Arbeit werden. Bereits ein Viertel der Erwerbstätigen in der Schweiz arbeiten der Studie zufolge flexibel, d. h. sie können in einem gewissen Ausmass Arbeitszeit und -orte mitbestimmen. Diese Entwicklungen wirken sich auch unmittelbar auf die Mobilität der Erwerbstätigen aus. Inwiefern können Co-Working Spaces Ihrer Meinung nach zu einer nachhaltigeren Mobilität führen?

Für viele Jobs ist es nicht nötig, fünf Tage die Woche im Büro, beziehungsweise beim Kunden vor Ort zu sein – hier gibt es viel Spielraum für eine smartere Mobilität. Mitarbeitende von Firmen die flexible Arbeitsformen schon sehr erfolgreich leben, gestalten ihre Arbeit und damit verbunden auch die Mobilität meist auch viel bewusster. So bündeln viele ihre Kunden- und Partnerbesuche auf ein bis zwei Tage die Woche, an denen sie gar nicht erst den Umweg übers Büro machen: Lieber um 16 Uhr vor dem grossen Verkehrsaufkommen nach dem letzten Termin nach Hause fahren und dann im Home-Office noch Dinge erledigen.

Stau ist ein Produktivitäts- und Motivationskiller - auch wenn die meisten Firmen dies nicht systematisch messen. Die überfüllten Züge während den Pendlerspitzen haben einen ähnlich negativen Effekt.

Auch nicht zu vernachlässigen ist die Umstellung von physischen Trainings auf Online-Trainings - insbesondere dann, wenn es um die reine Wissensvermittlung geht und nicht die Vernetzung bzw. den kollaborativen Lernprozess. Bei Microsoft konnte durch die Reduktion solcher unnötigen Flugreisen der jährliche CO2 Ausstoss um über 30 % reduziert werden. Von dieser Massnahme hat nicht nur die Umwelt profitiert sondern auch die Mitarbeitenden, da sie weniger gestresst sind durch Reisetätigkeiten, Zeitumstellung und Abwesenheit von der Familie.

Co-Working Spaces können auf zwei Wege eine smartere Mobilität unterstützen. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass Mitarbeitende mit langem Pendelweg einen Teil ihrer Arbeitszeit in einem Co-Working Space an ihrem Wohnort arbeiten. Diese Vision verfolgt VillageOffice, indem sie ein flächendeckendes Co-Working-Netzwerk in der Schweiz aufbauen und versuchen, Firmen zum Umdenken zu bewegen.

Zum anderen ist denkbar, dass Co-Working Spaces den Wissensarbeitenden als «Lückenfüller» dienen, d. h. wenn ich einen Tag Kundentermine in der Romandie plane, kann ich die Zeit, die ich zwischen zwei Terminen überbrücken muss, produktiv in einem Co-Working Space verbringen.

Aber so positiv ich Co-Working als Symbol einer neuen Wirtschaft und neuen Formen der Begegnung gegenüber eingestellt bin, muss man immer auch fragen, ob so wirklich unnötige Mobilität reduziert wird, oder ob heute nicht viele Menschen auf flexible Arbeitsformen spekulieren und eigentlich eine viel zu grosse Distanz zwischen Arbeits- und Wohnort haben.

Spielen überlastete Strassen und Züge für Unternehmen eine immer grössere Rolle bei der Erwägung, flexiblere Arbeitsmodelle einzuführen? Oder halten Sie die Digitalisierung für den einzigen Treiber dieses Trends?
Bei den Firmen mit denen ich in Kontakt bin, war dies nicht das Hauptmotiv, sondern eher ein positiver Nebeneffekt. Ausser bei der SBB natürlich, die ein Vorzeigebeispiel dafür ist, wie man durch eine Veränderung der Arbeitskultur die Verkehrsspitzen brechen kann. Die wichtigsten Treiber sind meiner Meinung nach neue Technologien, die die Kommunikation und den Wissensaustausch unabhängig von Zeit und Raum ermöglichen, der Wertewandel in unserer Gesellschaft sowie der Fachkräftemangel, der einzelne Firmen dazu zwingt sich Gedanken zu machen wie sie Talente gewinnen und halten können.

Die «Musterantwort» wäre aber, dass sowohl Unternehmen als auch die Mitarbeitenden davon profitieren, wenn eine Kultur der Flexibilität und Eigenverantwortung herrscht.

Sie gehen von drei verschiedenen Nutzungsszenarien für Co-Working aus der Sicht von Unternehmen aus. Worin unterscheiden sich diese Szenarien und welches wird sich Ihrer Meinung nach in der Schweiz durchsetzen?
Das erste Szenario ist «Co-Working als ergänzendes Arbeitsszenario», das allen Mitarbeitenden oder bestimmten Gruppen (z. B. Marketing, Innovationsabteilung, Aussendienst oder Mitarbeitende mit sehr langem Arbeitsweg) oder während speziellen Phasen zur Verfügung steht.

Das zweite Szenario ist «Co-Working als Angebot», d. h. die Firma wird selber zum Co-Working-Anbieter, wie dies die Migros mit der Welle in Bern probiert hat oder die ZKB mit dem Büro Züri oder Microsoft Schweiz an ihrem Hauptsitz in Wallisellen erfolgreich umgesetzt haben. Hier sind zwei Ansätze denkbar: Co-Working als neues Geschäftsfeld, wie es die Migros versucht hat oder Co-Working als Angebot für Kunden, Partner oder Studenten als Teil der eigenen Positionierung am Markt, bzw. Teil der Partner- und Kundenbeziehungsstrategie – das Hauptmotiv von Microsoft bzw. der ZKB.

Das dritte Szenario ist «Co-Working als Büroersatz», das davon ausgeht, dass viele Firmen in Zukunft auf den Betrieb eines eigenen Büros verzichten werden und sich in einem Co-Working Space einmieten werden, zum Beispiel in einer Region, in der die Firma nur wenige Mitarbeitende bzw. Kunden hat. Hier geht es nicht nur um das Einsparen von Infrastruktur- und Unterhaltskosten, der Zusammenschluss mit anderen ist auch aus Sicht Innovationsmanagement und Vernetzung sehr spannend.

Alle drei Szenarien sind realistisch und werden in den nächsten Jahren an Verbreitung gewinnen. Das dritte Szenario braucht sicher am meisten Zeit. Viele Firmen haben heute aufgrund der zunehmenden Mobilität ihrer Mitarbeitenden Büroflächen, die nicht optimal ausgelastet sind – es liegt auf der Hand, dass diese nicht noch zusätzlich für Arbeitsorte ausserhalb ihres Büros Geld ausgeben möchten. Wenn in ein paar Jahren die meisten Firmen auf neue Bürokonzepte umgestellt haben, bzw. den Flächenbestand nach unten korrigiert haben, ist diese dritte Variante sehr interessant und ein durchaus realistisches Szenario. 

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