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Interview mit Jenny Leuba

Jenny Leuba

Jenny Leuba, Sie sind Projektleiterin bei Fussverkehr Schweiz und haben das Pilotprojekt «Begegnen, Bewegen, Beleben» zu Begegnungszonen in Bern und Zürich geleitet. Was ist Ihr Ziel? Und was sind überhaupt Begegnungszonen?

In erster Linie geht es um die Erhöhung der Lebensqualität in den Quartieren. In Begegnungszonen beträgt die Höchstgeschwindigkeit 20 km/h. Dies ermöglicht es, den Fussgänger*innen Vortritt zu geben.

Inwiefern profitieren Gemeinden davon, wenn sie Begegnungszonen einrichten?

Seit ihrer Einführung vor 20 Jahren haben Begegnungszonen wesentliche Verbesserungen gebracht: die Erhöhung der Verkehrssicherheit sowie die Senkung des Lärmniveaus und der Luftverschmutzung.

Was soll mit dem Modellvorhaben für Begegnungszonen in Zürich und Bern erreicht werden?

Das Potenzial von Begegnungszonen ist noch nicht ausgeschöpft: Begegnungszonen haben wichtige Ziele wie tiefere Geschwindigkeiten und Lärmreduktion erreicht. Trotzdem findet auf ihnen wenig Aneignung statt. Die Potenziale von Begegnungszonen sollen mit diesem Projekt getestet werden. Dafür wurde im Sommer 2022 jeweils ein Strassenabschnitt einer bestehenden Begegnungszone in Zürich und Bern für drei Monate temporär umgestaltet. Anwohner*innen sollen ihre Strasse stärker für Alltagsaktivitäten nutzen können, für Bewegung (Spiel, Sport), zum Verweilen oder um sich mit Nachbar*innen zu treffen. Zudem laden belebte Strassen dazu ein, häufiger zu Fuss oder mit dem Velo unterwegs zu sein.

Warum und wie konnten Quartierbewohnende mitreden und direkt mitgestalten?

Anwohner*innen kennen die örtlichen Gegebenheiten und verfügen über viel lokales Know-How. Daher ist es sinnvoll, die Umgestaltung des Strassenraums vor ihrer Tür mit ihnen gemeinsam zu erarbeiten. Zudem wird ein gemeinsam gestalteter Raum mehr genutzt und gepflegt. Das haben die beiden Pilotstrassen soweit bestätigt.

An einer Bedarfserhebung im Herbst 2021 konnten uns Quartierbewohner*innen in Wipkingen mitteilen, wie sie die Begegnungszone Kyburgstrasse wahrnehmen, was sie daran schätzen und was verbessert werden könnte. Auf dieser Basis wurde die Begegnungszone Kyburgstrasse, Abschnitt Zeuner- bis Landenbergstrasse, im Juni 2022 umgestaltet – zusammen mit den Anwohner*innen: Diese griffen selber zu Hammer, Spaten und Pinsel.

Wie haben Anwohner*innen die umgestalteten Strassen genutzt? Wie fielen die Rückmeldungen aus?

Die Evaluation ist noch nicht abgeschlossen. Das Zwischenfazit fällt allerdings positiv aus, die bunt bemalte Strasse wurde während des Sommers rege genutzt: Auf der Kyburgstrasse wurde gespielt, mit Nachbar*innen geschwatzt sowie auf den Sitzmöglichkeiten verweilt und gegessen. Kinder, aber auch Eltern mit Kinderwagen, Senior*innen und Arbeiter*innen, die im Quartier unterwegs waren, haben sich die neue Aufenthaltsmöglichkeit sofort angeeignet. Die pinke Linie in der Begegnungszone (siehe Bild) wurde von den Kindern als Parcours genutzt: Sie folgten der Linie, kletterten über Holzmöbel und übten ihre Geschicklichkeit. Diese Nutzung überraschte und freute uns. Sie zeigt, dass Menschen sich gerne bewegen, wenn der Platz dafür vorhanden ist.

Einige kritische Rückmeldungen gab es bereits vor dem Einrichten. So wurde etwa die Befürchtung geäussert, die temporäre Umgestaltung könne zu mehr Lärm führen. Diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet: Das Projekt wurde von vielen Personen begrüsst und die Rückmeldungen aus dem Quartier waren überwiegend positiv. Das hat sich in der Bedarfserhebung gezeigt. 

Pinke Linie

Was waren Stolpersteine und Herausforderungen im Prozess?

Es gibt noch keine vereinfachte Praxis für temporäre Umgestaltungen. Die Regelungen und Bedingungen sind die gleichen wie für langfristige Projekte, die 15 oder 30 Jahren bleiben. Beispielsweise hätten wir gerne eine kleine Fläche auf der Fahrbahn entsiegelt, um mehr Grünraum zur Verfügung zu stellen. Aufgrund umfangreicher Vorgaben, etwa aus dem Gewässerschutz, verzichteten wir in Zürich und Bern jedoch auf diese Massnahme. Weiter bewegen wir uns an der Schnittstelle zwischen Strassenraumplanung, Nutzung, Verhalten und Nachbarschaftsdynamik, was besonders viel Austausch mit Anwohnenden und der Verwaltung braucht.

Was können andere Gemeinden in der Schweiz vom Projekt lernen?

Die Erkenntnisse aus dem Pilot und aus der Evaluation sowie Empfehlungen werden am Schluss des Projekts veröffentlicht. Diese sollten ermöglichen, einen neuen Blick auf den Gestaltungsprozess von Begegnungszonen zu werfen. Was wir schon heute sagen können, ist, dass sich der Einbezug der Quartierbevölkerung bewährt und zur erfolgreichen Durchführung beigetragen hat.

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