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Interview mit Katrin Pfäffli

Im Interview zu «Mobilität in einem 2000-Watt-Areal» mit Katrin Pfäffli, Nachhaltigkeitsberaterin der Baugenossenschaft Zurlinden im Projekt Sihlbogen, skizziert sie den Beitrag, den das Mobilitätsmanagement für das Label geleistet hat.

Quelle Baugenossenschaft Zurlinden

Katrin Pfäffli, Sie sind die Nachhaltigkeitsverantwortliche der Vorbildsiedlung Sihlbogen. Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein ambitioniertes, aber in der Stadt Zürich breit gesellschaftlich abgestütztes Ziel. Der städtische Durchschnitt liegt heute noch bei ungefähr 4000 Watt pro Person. Wie sieht es bei Bewohnenden Ihres Areals aus, heute und in der nahen Zukunft? Wie viel «Watt» lassen sich auf Mobilitätsfragen zurückführen?

Wir können und wollen den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht vorschreiben, wie viel Energie sie brauchen dürfen. Was wir aber können und wollen sind ideale Bedingungen schaffen, damit die Leute in ihren Wohnungen energieeffizient und ressourcenschonend wohnen und sich bewegen können. Eine Baugenossenschaft kann das in drei Bereichen lenken: zum einen in der Art wie gebaut wird (Einsparung Graue Energie), zweitens in der Art wie die Gebäude betrieben werden (Einsparung Betriebsenergie) und drittens darüber wo gebaut wird und welche Mobilitätswerkzeuge angeboten werden (Einsparung Mobilitätsenergie).

Mobil zu sein ist in unserer Zeit sehr wichtig. Der Energieverbrauch für den Verkehr macht heute etwa einen Drittel des gesamten Energieverbrauchs in der Schweiz aus und ist für mehr als einen Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gemäss Berechnungen des «SIA-Effizienzpfad Energie» – das ist das Instrument für das 2000-Watt-Bauen – brauchen die Bewohnenden des Sihlbogens rund viermal weniger Energie für ihre Alltagsmobilität als der Schweizer Durchschnitt und verursachen rund viermal weniger Treibhausgasemissionen dabei – das ist ein schöner Beitrag gegen den Klimawandel und für die Energiestrategie 2050.

Welche Kriterien mussten Sie mit Ihrer Siedlung/Genossenschaft im Bereich Mobilität erfüllen, um als 2000-Watt Areal ausgezeichnet zu werden?

Die Baugenossenschaft Zurlinden hat keine Massnahmen ergriffen, nur um als 2000-Watt-Areal ausgezeichnet zu werden. Als wir den Sihlbogen geplant haben, gab es das Label noch gar nicht. Es war aber schnell klar, dass diese Parzelle mit S-Bahnanschluss ein enormes Potenzial hat, das die Baugenossenschaft ausnutzen wollten. In der Stadt Zürich besitzt nicht einmal jeder zweite Haushalt ein Auto. Die Baugenossenschaft Zurlinden hat sich beim Sihlbogen entschieden für die eher vernachlässigte Hälfte der Züricherinnen und Zürcher zu bauen: Für jene eben, die kein Auto haben. Die Baugenossenschaft hat viel Geld eingespart, weil sie auf der hinteren Arealhälfte keine Tiefgarage in den felsigen Grund bauen mussten. Für die Bewohnenden bedeutet das tiefere Wohnungsmieten.

Mobil ist man im Sihlbogen trotzdem: Es gibt eine E-Bike-Flotte, Mobility-Standplätze und ein siedlungseigenes Elektroauto auf dem Areal. Und das Beste: Jeder Haushalt erhält Rail-Checks im Wert von rund 700 Franken pro Jahr für ein ÖV-Abo. Diese Massnahmen sind nicht nur für die Baugenossenschaft Zurlinden und die Bewohnenden vorteilhaft sondern auch für die Umwelt. Im Rahmen des Labels 2000-Watt-Areal wurden die Bewohnerinnen und Bewohner übrigens zu ihrem Mobilitätsverhalten im Alltag befragt und die Planungswerte haben sich bestätigt.

Wie reagieren neue Wohnungsinteressierte auf die Auflage der Autoverzichtserklärung? Inwieweit arbeiten Sie auch jetzt noch weiter an einer nachhaltigeren, bewohnerfreundlichen und nützlichen Mobilität?

Wie gesagt: Die Hälfte aller Haushalte in der Stadt Zürich hat kein Auto. Es bedeutet für sie also keinen Verzicht. In Ausnahme- und Notfällen findet die Baugenossenschaft Zurlinden aber immer Lösungen. Das bleibt für uns ein Thema.

Was waren die grössten Hürden, was die grössten Erfolgserlebnisse, die heute noch funktionieren? Was würden Sie heute anders machen?

Die absolut grösste Hürde war die damals gültige Parkplatzverordnung, in der autoarmes Wohnen schlicht nicht vorgesehen war. Die Baugenossenschaft durfte die Siedlung nur autoarm bauen unter vielen Vorbehalten und quasi als begleitetes Experiment. Heute ist die Parkplatzverordnung in diesem Punkt angepasst und lässt einem etwas mehr Freiheiten. Die Baugenossenschaft Zurlinden darf sich das wohl auch ein bisschen auf die Fahne schreiben – ohne den Sihlbogen und die Beharrlichkeit des Mobilitätsexperten hätte das mit Sicherheit noch länger gedauert. Wie alle Baugenossenschaften kämpft auch die Baugenossenschaft Zurlinden in vielen ihrer älteren Siedlungen mit dem Umstand, dass mehr Parkplätze gebaut werden mussten als effektiv nachgefragt werden.

Was sind Ihrer Meinung nach die drei einfachsten Schritte, die sich auch in bestehenden und traditionellen Siedlungen und Genossenschaften umsetzen lassen, um die Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner nachhaltiger und in Richtung der 2000-Watt-Gesellschaft zu entwickeln?

Die Binsenwahrheit ist die: Wenn ich wählen kann, wähle ich das Verkehrsmittel, mit dem ich schneller, kostengünstiger und bequemer an den Zielort gelange. In bestehenden Siedlungen lohnt es sich genau hin zu schauen und zu verstehen, warum die Leute welches Verkehrswerkzeug wählen. Zum Beispiel mit einer Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner oder des Hauswarts, der die Situation vor Ort sehr gut kennt. Oft sind es die Bewohnerinnen und Bewohner selber, die die besten Ideen haben. In der Siedlung Sihlbogen gibt es eine App, über die die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Anliegen, Beschwerden oder Wünsche äussern können.

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