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Interview mit Romila Storjohann und Roland Nisple

Hindernisfreiheit und konkrete Umsetzung des Teilprojekts Alarmierung Evakuation

Romila Storjohann, ETH Zürich
Romila Storjohann, ETH Zürich

Romila Storjohann studierte Philosophie und Biologie an der Humboldt-​Universität in Berlin und absolvierte den Master in Geschichte und Philosophie des Wissens an der ETH Zürich. Sie begann 2018 bei der Stelle für Chancengleichheit der ETH. Seit Juni 2019 arbeitet sie im Projekt Hindernisfreiheit an der ETH Zürich und hat im Herbst 2020 die Leitung des Umsetzungsprogramms übernommen.

Roland Nisple, ETH Zürich
Roland Nisple, ETH Zürich

Roland Nisple ist Brandschutzexperte und leitet die Sektion Brand- und Explosionsschutz in der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Umwelt an der ETH Zürich. Die Sektion befasst sich mit allen Themen des baulichen, technischen und organisatorischen Brandschutzes an der ETH Zürich. Er hat im Rahmen des Projekts «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» das Teilprojekt zum Thema Alarmierung und Evakuation geleitet.

Romila Storjohann, was bedeutet Hindernisfreie Mobilität an einer Institution wie der ETH Zürich?
Die ETH Zürich ist eine grosse Institution mit zwei Campus im Zentrum und auf dem Hönggerberg, diversen sogenannten Aussenstationen und insgesamt über 200 Gebäuden. Ziel des Programms «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» ist es, diese so zu gestalten, dass sich alle Personen hindernisfrei in und zwischen den ETH-Gebäuden bewegen können. Das ist eine grosse und umfangreiche Aufgabe, die noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Bereits 2025 wird eine neue App «Polymaps» zur Navigation in und zwischen ETH-Gebäuden zur Verfügung stehen. Diese zeigt auch barrierefreie Wege an, sodass der Weg von A nach B beispielsweise nicht über Treppen, sondern nur über Rampen und Lifte führt.

Wer profitiert von einer hindernisfreien ETH?
Letztlich profitieren alle davon, denn jede Person ist in ihrem Arbeits- und Studienalltag mit mehr oder weniger grossen Hindernissen konfrontiert. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Eine Rampe oder ein Lift statt Treppenstufen ist nicht nur für Personen im Rollstuhl notwendig, sondern auch hilfreich, wenn ich mit einem schweren Koffer, mit einem Kinderwagen oder temporär auf Grund eines Unfalls mit Krücken unterwegs bin. Oder eine gute Raumakustik bzw. Akustikanlagen machen es für alle Personen einfacher, einem Vortrag zu folgen, wobei Personen mit einer Hörbehinderung darauf angewiesen sind. Deswegen versuchen wir Lösungen zu finden, die dem Prinzip «Design for all» entsprechen. Das heisst, wir möchten die Umgebung so gestalten, dass sie für alle bzw. so viele Menschen wie möglich ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung nutzbar ist.

Was macht die ETH Zürich, damit sie Hindernisfreiheit erreicht?
Anfang 2021 wurde das Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» gestartet. In 14 Teilprojekten werden verschiedene Massnahmen in den drei Kategorien «Bauliches, Gebäudenutzung und Architektur», «Organisation und Kultur» und «Technologie, Kommunikation und Lehre» umgesetzt. Die Massnahmen reichen von Informationswebseiten und Kursen zu Themen wie hindernisfreie Veranstaltungen oder barrierefreie Alarmierung und Evakuation bis zu Umbauten in Gebäuden, die beispielsweise mit Liften mit Sprachausgabe, mit einer barrierefreien Signaletik und automatischen Türen ausgestattet werden. Einen Gesamtüberblick sowie das aktuelle Reporting über die neuesten Fortschritte liefert die Programmwebseite: ethz.ch/hindernisfrei

Roland Nisple, können Sie etwas mehr zum Projekt «Barrierefreie Alarmierung und Evakuation» erzählen? Warum ist die ETH damit besonders vorbildlich?
Wir konnten im Rahmen des Teilprojekts eine sehr breite Analyse dazu durchführen. Abklärungen zu Normen, viele Interviews mit Betroffenen, Verbänden und Behörden gaben uns schnell einen ersten Überblick über die Situation. Insbesondere zeigten diese auch auf, dass dieses Thema in anderen Institutionen bis dato nicht behandelt oder berücksichtigt wurde.

Wir mussten also auf Basis unserer eigenen Analyse die Massnahmen sortieren und für die ETH definieren. Die daraus resultierenden, rund 50 Punkte, wurden bewertet und untereinander abgeglichen, auch unter dem Aspekt der Kosteneffizienz und Wirksamkeit.

Es zeigte sich, dass wir das Augenmerk auf organisatorische Konzepte und minimal-invasive bauliche, sowie technisch sinnvolle Massnahmen legen mussten.

Diese Auseinandersetzung führte aus unserer Sicht schlussendlich zu einem sehr zielgerichteten Resultat, welches wir auch anlässlich einer Diskussionsrunde mit allen Involvierten präsentieren und diskutieren konnten.

Es konnten noch vor Abschluss des Analyseprojekts einige Massnahmen umgesetzt werden. Beispielsweise die Anpassungen von Evakuationstexten, die Überarbeitung des Schulungskonzeptes für Ersthelfer im Umgang mit Personen mit Behinderungen, oder auch die Beschaffung von Rettungsdecken.

Insbesondere unsere Ersthelfer konnten damit schon früh auf das Thema sensibilisiert werden und verhelfen dem Projekt zu einer erfolgreichen Umsetzung im Alltag.

Romila Storjohann, was ist heute anders als früher? Wo gibt es heute neue Möglichkeiten?
Im Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» wurde in den letzten Jahren bereits viel erreicht. Einige Gebäude der ETH Zürich wurden bereits hindernisfrei angepasst und die Lehrräume wurden grösstenteils mit höhenverstellbaren Tischen ausgestattet, sodass sie mit jedem Rollstuhl unterfahrbar sind. Auch in anderen Bereichen haben wir viel mehr Angebote, bspw. Kurse zum Thema digitale Barrierefreiheit oder Beratungsangebote für die Erstellung barrierefreier Lehrmittel. Die ETH-Bibliothek hat neu barrierefreie Lernarbeitsplätze eingerichtet, die unter anderem mit einem Bildschirmlesegerät, grösseren Bildschirmen und entsprechender Software ausgestattet wurden. Nichtsdestotrotz liegt auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch einige Arbeit vor uns, um «Hindernisfreiheit an der ETH» Zürich weiterhin Schritt für Schritt umzusetzen.

Die ETH forscht auch zum Thema Hindernisfreiheit – Welche Möglichkeiten gibt es in der Zukunft für heute blinde, mobilitäts- oder höreingeschränkte Menschen?
Neben dem Programm «Hindernisfreiheit an der ETH Zürich» gibt es auch weitere Initiativen und Projekte an der ETH Zürich, die stärker auf die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien fokussieren. Beispielsweise das ETH-Kompetenzzentrum für Rehabilitation Engineering und Science oder den CYBATHLON, einen internationalen Wettkampf von Assistenztechnologien. Scewo, ein Spin-off der ETH Zürich, entwickelte den ersten treppensteigenden Rollstuhl.

Romila Storjohann, was nehmen Sie persönlich mit aus Ihrem Projekt?
Es ist schön, zu sehen, wie sich die ETH Zürich verändert, wie sich mehr und mehr ETH-Angehörige, seien es Studierende, Mitarbeitende oder Dozierende, mit dem Thema Behinderungen und Hindernisse auseinandersetzen und dafür sensibilisiert werden. Dieser kulturelle Wandel und der Abbau von «Barrieren in den Köpfen» ist sehr wichtig für den Erfolg des gesamten Programms und freut mich besonders.

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