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Geburt im Rettungswagen

Ich werde häufig nach meinen schlimmsten, aber selten nach meinen schönsten Einsätzen als Rettungssanitäterin gefragt. Doch es gibt sie – diese wunderbaren Einsätze. So wie jener, der uns an einem kalten Wintermorgen erwartete.

Geburt im Rettungswagen
Illustration: Daniel Müller

Text: Ramona Haupt

Die eisbedeckten Strassen glitzerten im Schein des Blaulichts, während wir mit Sondersignal zu einer «drohenden Geburt» ausrückten. Geburten im Rettungsdienst sind selten, vor allem in städtischem Einsatzgebiet. Und meistens haben wir dann genügend Zeit, die Patientin noch vor der Geburt ins Spital zu transportieren. Doch nicht an diesem Morgen.

Als wir am Einsatzort eintrafen, sahen wir schon von Weitem ein Auto mit Pannenblinker am Strassenrand stehen. Als wir um das Auto herumgingen, kniete eine Frau vor dem Auto auf dem Boden. Mit den Armen stützte sie sich am Autositz auf, ihr Mann stand ratlos daneben. Wir merkten sofort, dass die Geburt kurz bevorstand. Mit unserer Hilfe schaffte es die Patientin noch, in den Rettungswagen zu steigen. Sie erzählte, dass sie auf dem Weg in eine Klinik waren, die von unserem Standort aus noch etwa 20 Minuten entfernt war. Als es ihr allerdings unmöglich wurde zu sitzen und sie so die Fahrt nicht mehr fortsetzen konnte, stieg sie aus und wählte den Sanitätsnotruf. Ich schlug der Patientin vor, sich für die Fahrt ins Spital hinzulegen, doch das schien ihr aufgrund der Wehenschmerzen unmöglich. Da ein Transport in stehender Position viel zu gefährlich gewesen wäre, machte ich der Patientin drei Vorschläge:

Vorschlag eins: Sie mobilisiert ihre letzten Kräfte und legt oder setzt sich so hin, dass wir sie anschnallen können, um in die 20 Minuten entfernte Klinik zu fahren.

Vorschlag zwei: Wir fahren sie in ein anderes Spital, das nur fünf Minuten entfernt ist. Auch für diese Fahrt muss sie sich angurten lassen.

Vorschlag drei: Die Geburt erfolgt im Rettungswagen.

Für mich war klar, dass sie sich für die zweite Option entscheiden würde. Doch ich lag falsch. Die Patientin entschied sich, zu unserer Überraschung, für die dritte Option. Völlig perplex schauten meine Kollegin und ich uns an. In der Ausbildung zur Rettungssanitäterin werden wir auf die Durchführung einer Geburt vorbereitet. Also stellten wir uns schnell auf die neue Situation ein und bereiteten alles vor. Zu unserer Unterstützung boten wir eine Hebamme auf. Danach heizten wir den Rettungswagen auf und legten ein paar Leintücher in die Wärmeschublade. Für die Patientin war es die erste natürliche Geburt, ihr erstes Kind war per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen.

Trotz der aussergewöhnlichen Situation war die Atmosphäre sehr entspannt und angenehm. Kurz nach dem Eintreffen der Hebamme erblickte ein gesunder Knabe die Welt. Wir freuten uns sehr über die problemlose Geburt, und der stolze Vater schnitt die Nabelschnur durch. Wir untersuchten kurz das Neugeborene und fuhren die glückliche Familie sicher ins Spital: Die Mutter gut gesichert liegend auf der Trage, mit ihrem Kind auf dem Bauch.

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