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Schwer zu verarbeitende Einsätze

«Aus einer Wohnung in einem Block kommen Hilferufe.» Bei solchen Einsatzmeldungen wird die Polizei gleichzeitig mit der Sanität aufgeboten, damit wir uns – falls nicht anders möglich – Zutritt zu einer verschlossenen Wohnung verschaffen können. Als wir dieses Mal vor Ort eintrafen, hörten wir bereits die Hilferufe.

Illustration: Daniel Müller

Text: Ramona Haupt

Leider konnten wir durch die verschlossene Tür nicht feststellen, wie dringend unsere Hilfe benötigt wurde. Wir gingen vom Schlimmsten aus und hatten deshalb keine Zeit, auf den Schlüsseldienst zu warten. Zum Glück war die Tür zur Wohnung dünn, und wir konnten sie ohne grosse Mühe aufbrechen.

Das Bild, das sich uns bot, und der beissende Geruch, als die Tür aufflog, werde ich nie vergessen. Uns erfasste eine Staubwolke, angereichert mit einem Gemisch aus abgestandener Luft, Urin, Schweiss und einem undefinierbaren, aber ebenso üblen Geruch.

Wie sich herausstellte, handelte es sich hier um eine Wohnung mit nur einem Zimmer. Dieses verfügte über keine Küche oder Toilette. Der Patient war gestürzt und lag in der Mitte des bis zur Decke mit allen möglichen Dingen zugestellten Zimmers. Um überhaupt bis zum Patienten zu gelangen, mussten wir zuerst ein paar Gegenstände aus dem Raum entfernen. Dabei entdeckten wir, dass auf einem Möbel eine improvisierte Kochplatte stand, daneben diverse Töpfe und Teller mit vergammeltem Essen sowie mit Urin gefüllte Tupperware.

Wir bargen den Patienten mit Hilfe der Feuerwehr und deren Autodrehleiter und übergaben ihn in Spitalpflege. Bei der Erstversorgung sprach ich mit dem Patienten über seine im Moment unhaltbare und desolate Situation zu Hause. Er nahm meinen Vorschlag, ihm Hilfe zu organisieren, dankend an. Wie es dem Patienten heute geht und ob er die Hilfe in Anspruch genommen hat, ist mir leider nicht bekannt. Manchmal wäre es schön, zu wissen, wie es den Menschen nach unserem Einsatz ergangen ist.

Solche Momente in unserem Arbeitsalltag belasten mich genauso sehr wie ein schlimmer Unfall mit verletzten Personen. Zum einen schwingt sicherlich ein gewisses Mass an Ekel und Unverständnis mit. Zum anderen werde ich durch die Hilflosigkeit, die Einsamkeit und die Verwahrlosung eines Menschen viel emotionaler berührt als bei einem Unfall mit weniger persönlichem Kontakt, wo wir die Patient*innen zügig ins Spital bringen. Ich frage mich, wie es überhaupt zu solchen Situationen wie oben beschrieben kommen kann. Dies stimmt mich nachdenklich und traurig. Es ist diese Art von Einsätzen, bei denen wir die traurigen und emotionalen Geschichten von Menschen oder deren Angehörigen hautnah mitbekommen, die für mich schwerer zu verarbeiten ist.

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