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Die Gutenberg-Galaxis für Künstler*innen lebt

Aktuelle Einblicke in das Förderformat «Publikationskostenbeiträge»

«Stadt Zürich Kultur unterstützt Kunst-Publikationen sowie Werkkataloge von Künstlerinnen und Künstlern, die der Vermittlung des Schaffens von ausgewiesenen Zürcher Kunstschaffenden dienen. Auch experimentelle Projekte in digitalen Formaten können berücksichtigt werden, sofern der Vermittlungsanspruch eingelöst und eine allgemeine Zugänglichkeit/Distribution gewährleistet werden. Von der Förderung ausgeschlossen sind Blogs, individuelle Homepages von Kunstschaffenden, Zeitschriften/Serien, kunstwissenschaftliche Recherche- und Archivierungsprojekte. Es werden Beiträge zwischen Fr. 1000.– und Fr. 5000.– vergeben.»

So trocken präsentiert sich auf der Webpage der Kulturförderung der Stadt Zürich ein Förderinstrument, das sehr gefragt ist. Im vergangenen Jahrzehnt wurden dafür meist mehr als 50 Gesuche pro Jahr eingereicht. Mit dem vorhandenen Förderkredit in Höhe von 50 000 Franken kann nur einer handverlesenen Auswahl dieser Gesuche entsprochen werden. Auch halten sich die Beiträge, gemessen an den Produktionskosten für eine Publikation, in einem bescheidenen Rahmen. Eine positive Beurteilung eines Projekts durch die professionelle Kommission für Bildende Kunst der Stadt Zürich erleichtert es aber meist, auch bei anderen Geldgeber*innen Mittel einzuwerben.

In der Diskussion der Kommission, die die formal akzeptierten Gesuche inhaltlich prüft, wird wegen der begrenzten Fördermittel streng geurteilt. Dabei spielen neben der inhaltlichen und grafischen Qualität und Relevanz des jeweiligen Publikationsprojekts immer wieder auch sehr grundsätzliche Überlegungen eine Rolle.

Sie betreffen etwa die voraussichtliche Wirkungskraft einer Publikation, bezogen auf den jeweiligen Stand einer künstlerischen Biografie. So erklärt es sich, dass immer wieder Künstler*innen, die schon Publikationen zu ihren Werken realisieren konnten und dabei auch von der Stadt Zürich unterstützt wurden, meist hintanstehen müssen. Einiges Gewicht hat die Strahlkraft und Reichweite, die man einer Publikation zutraut. Das heisst nicht, dass die Kommission keinen Sinn für grafische oder inhaltliche Experimente hat. Diese müssen aber ästhetisch schlüssig wirken.

Förderinstrumente werden regelmässig überprüft. So wurden vor einiger Zeit die «Druckkosten» in «Publikationskosten» umbenannt, um auch die Unterstützung digitaler Publikationsprojekte zu signalisieren. Hierfür gibt es inzwischen schon erste Beispiele, etwa Digital Narrations: Fails and Errors – ArtEZ Platform for Research Interventions of the Arts

Ein Überblick der durch die Stadt Zürich geförderten Publikationsprojekte der letzten Jahre findet sich unter folgendem Link

Für die Kommission und das Ressort Bildende Kunst ist es immer ein besonders schöner Moment, wenn nach einiger (und manchmal auch längerer) Zeit die geforderten Belegexemplare eintreffen. Gerne stellen wir einige der jüngsten Beispiele vor: 

«Georg Aerni, Silent Transition», Hrsg. Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz/Nadine Olonetzky, Zürich 2022, Verlag Scheidegger & Spiess, 192 S., ca. 49 Fr.

«Georg Aerni – Silent Transition», Hrsg. Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz, und Nadine Olonetzky, Texte Sabine von Fischer, Nadine Olonetzky, Peter Pfrunder, 192 Seiten, in Zusammenarbeit mit Codax Publisher, Zürich, Verlag Scheidegger und Spiess, Zürich, 2022.

Stacheldraht, der in die Rinde eines Baumes eingewachsen ist. Löwenzahn und anderes zähes Grün, das aus den Treppenritzen irgendeiner Unterführungs-Baustelle spriesst. Gigantische Folienflächen, mit denen in Südspanien Gemüseanbaugebiete vor Hitze und Verdunstung geschützt werden sollen. Aber auch eigenartige Efeuwucherungen auf Felsblöcken oder verkeiltes Treibholz nach einem Hochwasser: Das sind die Bilder, die Georg Aerni mit seiner Kamera seit Jahren sucht und die er jeweils in kleinen Werkserien festhält. Fast immer haben sie etwas mit dem Übergang zwischen Natur und menschlichen Eingriffen in diese zu tun. 

Menzingen, 2015, © Georg Aerni.

Mehr noch: Meist stellt sich bei genauerer Betrachtung von Aernis Fotografien heraus, dass selbst die scheinbar ursprüngliche Natur schon längst überformt ist durch das Tun oder Lassen des Menschen, manchmal seit Generationen. Im letzten Jahr konnte man Aernis Werk in einer umfassenden Retrospektive in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur begegnen. Der dazugehörige Katalog besticht mit einer grosszügig und in hervorragender Qualität reproduzierten Auswahl aus wichtigen Werkserien – gestochen scharfe Bilder, die eine magische Anziehungskraft besitzen und an denen man sich nicht so schnell «sattgesehen» hat.

«Denn wenn Chloe Olivia mag …», Hrsg. Marilin Brun, Mara Züst, Gestaltung Astrid Seme, Wien 2022, Mark Pezinger Books, 160 S., 16 Euro

«Denn wenn Chloe Olivia mag …», Marilin Brun und Mara Züst, Gestaltung Astrid Seme. Artist Book. Verlag Mark Pezinger, Wien, 2022.

Ein handliches, schön gestaltetes Taschenbuch mit dem vielleicht zunächst rätselhaften Titel «Denn wenn Chloe Olivia mag …» entpuppt sich als gründlich recherchierter und dokumentierter Essay zur erstaunlich progressiven Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA 1928. Damals wie heute bewegte das Thema der gar nicht oder schlecht repräsentierten Künstlerinnen die Gemüter. Wer weiss, wenn der Zweite Weltkrieg die emanzipatorischen Bemühungen der Frauen nicht gebremst hätte, wäre es vermutlich auch ein wenig schneller gegangen mit ihrem Versuch, in der damals noch mehr als heute männerdominierten Welt der Kunst Tritt zu fassen, gesehen und gehört zu werden. «Was es heisst, als bildende Künstlerin gestern, heute und in Zukunft zu wirken» – das ist der Untertitel, der einige Erkenntnisse verspricht.

Aus: Marilin Brun & Mara Züst, «Denn wenn Chloe Olivia mag …», Mark Pezinger Books, 2022.

Die Publikation löst das Versprechen ein: So erfahren wir etwa, welche Künstlerinnen an der SAFFA in den legendären Räumlichkeiten der damals einzigen Schweizer Architektin Lux Guyer teilnahmen und unter welchen Umständen dies geschah. Hinzu kommen viele symptomatische Details. Etwa, dass die Künstlerinnen auffällig häufig mit Selbstporträts vertreten waren. Die Autorinnen interpretieren dies als Versuch der Frauen, sich in einem Genre zu behaupten, das traditionell als Ausdruck künstlerischen Selbstbewusstseins gilt. Man denke etwa an Dürers berühmtes Selbstporträt von 1500 als Christus.

Dass die Künstlerinnen in der Schweiz erst ab 1972 im tonangebenden Künstlerverband GSMBA (heute Visarte) zugelassen wurden, gehört ebenso zu den Denkwürdigkeiten. Brun und Züst skizzieren auch das Spannungsfeld zwischen dem oft «weiblich» konnotierten «Kunstgewerbe», der «Hobbymalerei» und der «eigentlichen», «hohen» Kunst, in dem sich die Künstlerinnen bewegen. Das Titelzitat übrigens, das sei hier verraten, stammt von Virginia Woolf, aus ihrem für den Feminismus programmatischen Essay «A Room of One's Own» von 1929.

«Roma Jam Session art Kollektiv», Hrsg. Mo Diener/RR Marki, veröffentlicht durch oncurating.org (Vertrieb Galerie Kupper Modern)

«Morphing The Roma Label», Idee: Roma Jam Session art Kollektiv RJSaK (Mo Diener, RR Marki, Milena Petrovic), Hrsg. Mo Diener/RR Marki, Texte Mo Diener, Michael Felix Grieder, RR Marki, Suzana Milevska, Gestaltung Alain Kupper, Veröffentlichung OnCurating.org, Zürich, 2022, Online- und Printversion, Vertrieb Galerie Kupper Modern, Zürich.

Das Roma Jam Session art Kollektiv (RJSaK) wurde 2013 von der Künstlerin Mo Diener, dem Ende 2022 verstorbenen Künstler und Aktivisten RR Marki sowie der Schauspielerin Milena Petrovic gegründet. Worum es dem hauptsächlich mit Performances wirkenden Kollektiv geht, lesen wir in der Einleitung zur Publikation, die nun die Aktivitäten von RJSaK aus den letzten zehn Jahren anschaulich dokumentiert. «Morphing The Roma Label»: Das überwiegend negativ oder mit Vorurteilen aller Art behaftete Etikett «Roma» neu zu interpretieren war das Kernanliegen. Es bewegt das Kollektiv bis heute. Etwas komplizierter formuliert, klingt das so: «Wie könnte eine zeitgenössische künstlerische Praxis aussehen, welche die Befindlichkeit der Roma in der Schweiz und Europa zum Ausdruck bringt, deren Geschichte aufrollt und die irrtümlichen, aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart reichenden Annahmen zurechtrückt, diese gründlich und mit einer Prise fluxistischem Humor untersucht und dabei flexibel auf aktuelle Entwicklungen in der Kunst und der Minoritätspolitik eingeht?» 

Aktionen von RJSaK: Die vielstimmige Geschichte der Roma aufarbeiten.

Ein grosses, ehrgeiziges, anspruchsvolles, vielleicht auch utopisches Projekt. Es beschränkte sich aber nicht auf vollmundige Ansagen, sondern entwickelte tatsächlich einige Zug- und Wirkkraft. Am Anfang standen witzige-ironische, zugleich kritische «Tableaux vivants» zum sogenannten «Zigeunerleben» in einem Zürcher Offspace 2013. Es ging unter anderem weiter mit dem 1. Roma Manifest Zurich im Kontext des Hundertjahr-Jubiläums von Dada 2016. Von der Fashion Show «Estetika Walk» über die Ausstellung «FutuRoma» auf der 58. Kunstbiennale von Venedig 2019 und zur Teilnahme an der 2. Roma Biennale (2018/2021) reichen einige der weiteren, verästelten Aktivitäten.

Das Roma Jam Session art Kollektiv wurde im Herbst 2022 auch in einer Ausstellung im Helmhaus Zürich vorgestellt. Für die Kunstsammlung der Stadt konnten aus dieser Ausstellung Werke erworben werden. Das war zu dem Zeitpunkt, als die Publikation auf Empfehlung der Kommission gefördert wurde, noch nicht klar. Die Aktivitäten ergeben nun aber ein Gesamtbild. Generell geht es dabei um die Frage, die auch die Kunstförderung beschäftigt: Welchen Stereotypen sitzen wir in unserem Alltag aus Gewohnheit und Bequemlichkeit auf und welchen Umgang pflegen wir mit Minderheiten?

Text: Barbara Basting

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