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Kunstankäufe der Stadt Zürich

Die Menschlichkeit des Materials

Im Herbst 2018 ist es wieder einmal soweit: Im Rahmen der «Kunst: Szene Zürich 2018» wird im Helmhaus eine Auswahl der Kunstankäufe der Stadt aus den letzten Jahren vorgestellt. Kunstwerke, die sonst meist nur in den Räumen der Stadtverwaltung zu sehen sind, werden dann auch für die breitere Öffentlichkeit sichtbar. Sabine Rusterholz, Mitglied der städtischen Kommission für Bildende Kunst, zeigt anhand einiger Ankäufe des vergangenen Jahres, welche Überlegungen die Kunstkommission bei ihren Vorschlägen für Erwerbungen leiten. Und sie macht neugierig auf die Ausstellung, die Ende November eröffnet wird.

Vanessa Billy: «Keeping it Real (in a Bundle)», 2016, Strom-, VGA-, HDMI-, USB-, Modem-, Patch-, ISDN-, RJ11-, TAE-F-, MSV-, XLR-, DSL-, Cat5kabe-Kabel und andere Kabel, Metallwanne, Wasser. Foto: Gunnar Meier
Vanessa Billy: «Keeping it Real (in a Bundle)», 2016, Strom-, VGA-, HDMI-, USB-, Modem-, Patch-, ISDN-, RJ11-, TAE-F-, MSV-, XLR-, DSL-, Cat5kabe-Kabel und andere Kabel, Metallwanne, Wasser. Foto: Gunnar Meier

Elektromüll im Wasserbad, Zitronen aus Bioharz, in Öl gemalte digitale Bildmotive und eine Bastelanleitung zum Bau der ersten Atombombe: Einige der jüngsten Neuerwerbungen für die Kunstsammlung der Stadt Zürich reizen durch ihre Materialwahl zur Auseinandersetzung. Drei Werke von Vanessa Billy (*1978), Kevin Aeschbacher (*1988) und Sebastian Utzni (*1981), die im vergangenen Jahr angekauft wurden, dienen hier dazu, ein Streiflicht auf die Tätigkeit der Ankaufskommission zu werfen. Auch wenn alle drei KünstlerInnen ganz unterschiedliche Arbeitsweisen verfolgen, teilen sie das Interesse für aktuelle Fragen rund um die Beziehung des Menschen zum Materiellen. Die drei verfolgen einen je eigenen Zugang zur einst unberührten Natur, zu Künstlichkeit, zu Materialien und deren Transformationen unter der Einwirkung des Menschen. Im jüngst ausgerufenen Zeitalter des «Anthropozän», in dem der Mensch zum bestimmenden Faktor von globalen Umweltveränderungen geworden ist, wird es auch für Künstlerinnen und Künstler zum Antrieb, die Brisanz dieses ambivalenten Verhältnisses zu verarbeiten.

Bio High-Tech

Vanessa Billy: «Refresh, Refresh (Yellow Squeeze)», 2016, Bio-Harz, Farbstoff. Foto: Alexander Hana
Vanessa Billy: «Refresh, Refresh (Yellow Squeeze)», 2016, Bio-Harz, Farbstoff. Foto: Alexander Hana

Vanessa Billy arrangiert mit «Keeping it Real (In a bundle)» einen Wirrwarr aus Elektromüll. Das ausgediente Material stammt aus mehreren Jahrzehnten und ganz unterschiedlichen Geräten. Völlig dysfunktional liegt das Kabelgewirr im Wasser und zeigt vordergründig eine krude, minimalistische Ästhetik. Dahinter lassen sich komplexe Botschaften erkennen, wie etwa die Undurchsichtigkeit heutiger Produktions-, Konsum- und Recyclingprozesse. Als Metapher für die Vergänglichkeit technologischer Entwicklung stellt das Werk die Frage nach einem nachhaltigen Konsum und dem individuellen Gewissen.

Ebenso einfach und zugleich vielschichtig ist ein weiteres Werk von Vanessa Billy in Form von Zitronenabgüssen aus Bioharz. In der Produktion von Lebensmitteln im Allgemeinen und Zitrusfrüchten im Besonderen sind künstliche Wachstums- und Haltbarkeitszusätze weit verbreitet. Gleichzeitig finden sich in vielen Kunststoffen Bestandteile aus Biotechnologien, darunter auch nachwachsende Rohstoffe. Natur und Technik verschmelzen. Der Mensch ist zum Ingenieur der Umwelt geworden.

  

Digitaler Blick

Kevin Aeschbacher: «Ektstatische Teenager - tosender Beifall in den ausverkauften 4-f Orbitalen», 2016, Oel und Acryl auf Baumwolle, 175 x 115 x 3,5 cm.
Kevin Aeschbacher: «Ektstatische Teenager - tosender Beifall in den ausverkauften 4-f Orbitalen», 2016, Oel und Acryl auf Baumwolle, 175 x 115 x 3,5 cm.

Auch bei Kevin Aeschbacher geht es um unser Verhältnis zum technologischen Wandel. Seine Malerei verbindet reale Motive und digitale Ästhetik, analoge Maltechnik und computerbasierte Bildbearbeitung. Er nimmt der Realität entliehene Bildelemente, etwa aus Garten- und Parkanlagen, verfremdet sie mit digitalem Werkzeug und überträgt das Ergebnis anschliessend mit Öl und Acryl auf Baumwoll-Leinwand. Die ursprünglichen Motive werden dabei so stark abstrahiert, dass sie nur noch als Andeutungen erkennbar sind. Mit rätselhaften Titeln wie «Besinnliche Stunden am Vorabend des Oligozän», «Ekstatische Teenager – tosender Beifall in den ausverkauften 4-f Orbitalen» oder «Tiefstpreisgarantie» lässt er ziemlich unzusammenhängende Assoziationsfelder kollidieren. Die Titel verschmelzen Fachbegriffe der Wissenschaft mit dem Jargon der Freizeitkultur und Zauberformeln des Konsumalltags. Damit deutet der Künstler an, wie vielschichtig und teils verworren die Verarbeitungsprozesse heute sind, die der menschlichen Perspektive auf die Dinge zugrunde liegen und wie stark diese Perspektive durch sprachliche und bildliche Codes gerahmt ist.

Brisanter Bastelbogen

Sebastian Utzni: «Little Boy», 2017, Acryl auf Papier. Foto: Mario Caviezel
Sebastian Utzni: «Little Boy», 2017, Acryl auf Papier. Foto: Mario Caviezel

Titel «Little Boy». Dabei handelt es sich um den Codenamen für eine der grössten und katastrophalsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte; die erste Atombombe, die am 6. August 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde und Hunderttausende von Todes- und Strahlenopfern forderte. Dieses grossformatig mit Acryl gemalte DIY-Kit zum Nachbau der Atombombe in Originalgrösse ist glücklicherweise nur in Papier ausführbar. Es ruft aber auch Anspielungen an andere Anleitungen zum Bau von explosiven Waffen auf, die im Internet kursieren und die eine reale Bedrohung darstellen können. Die Arbeit zeigt auf befremdlich einfache Weise, dass viele aktuelle Probleme das Resultat eines genuin menschlichen Spieltriebs sein können. Die naive Kurzsichtigkeit des Menschen ist vielleicht ein grösseres Risiko als die zielgerichtete Bosheit.

Die drei Beispiele mögen illustrieren, auf welche Weise die Kunstkommission unter anderem mit ihren Ankäufen Akzente in der Förderung zu setzen versucht. So geht es darum, relevante Themen, überzeugende, teils auch kritische künstlerische Zugänge und Kommentare aufzuspüren; die Werke dürfen sperrig sein und sollen zum Nachdenken anregen. Die Aufnahme in die Sammlung verleiht den Werken und ihren UrheberInnen Sichtbarkeit. Dies nicht zuletzt, weil er sie in den längerfristigen Kontext einer lokalen Kunstgeschichte einbindet, deren Perspektive aber immer auch über Zürich hinausreicht.  

Text: Sabine Rusterholz

Ankäufe für die städtische Kunstsammlung

Sabine Rusterholz ist seit 2016 Mitglied der Ankaufskommission, einer Untergruppe der städtischen Kommission für Bildende Kunst. Diese schlägt der Kulturabteilung alljährlich Kunstwerke zum Ankauf für die städtische Kunstsammlung vor. Dafür steht derzeit insgesamt ein Kredit in Höhe von 160 000 Franken zur Verfügung. Durch die Ankäufe sollen vor allem – aber keineswegs ausschliesslich – jüngere Kunstschaffende gefördert werden. Die Kunstwerke können von den städtischen Angestellten zur Ausstattung ihrer Büros ausgeliehen werden, und manche von ihnen sind auch in den öffentlich zugänglichen Bereichen der Stadtverwaltung zu sehen. Sie können aber auch von Institutionen für Ausstellungen ausgeliehen werden; ein Angebot, das von Schweizer wie auch von internationalen Museen genutzt wird.

Ausstellung im Helmhaus

Vom 29. November 2018 bis 20. Januar 2019 zeigt das Helmhaus eine Ausstellung der Kunstankäufe der Stadt Zürich der Jahre 2011–18.

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