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Neutral bleiben und Respekt zeigen

Die Organisatorin der «Juryfreien» und der Werk- und Atelierstipendien ist in Pension gegangen

Eva Wagner auf dem Kunstszene Elektrotöffli
Mit dem Kunstszene Elektrotöffli im Hürlimann Areal. Foto: Juliet Haller

 

 

Niemand kennt so viele Zürcher Künstlerinnen und Künstler wie Eva Wagner. Mehr als 20 Jahre lang hat sie die Gesuche der Bildenden Kunst und die unjurierte Ausstellung «Kunstszene Zürich» organisiert und alle teilnehmenden Kunstschaffenden persönlich kennen gelernt. Ende Januar 2014 hat sie Stadt Zürich Kultur verlassen. In einem Gespräch sagt sie, wie sie die Zürcher Kunstszene in all den Jahren wahrgenommen hat.

Als Organisatorin der Stipendien für Bildende Kunst und der juryfreien Ausstellung gelten Sie als die Hüterin der Zürcher Kunstszene schlechthin. Wie sind Sie eigentlich zu dieser Aufgabe gekommen?

EVA WAGNER: Ich lebte im Engadin und wünschte mir, im Bereich Kultur in Zürich arbeiten zu können. Deswegen zog ich in die Region Zürich. Zuerst leitete ich die Administration der Schweizerischen Ballettberufsschule. Dann wechselte ich zur Präsidialabteilung der Stadt Zürich und kam der Kultur noch näher. Ab 1990 betreute ich die internationalen Theater-Gastspiele. Als die Stadt diese Engagements aufgab, fragte mich die damalige Ressortleiterin des Bereichs Bildende Kunst, ob ich für die Kunstförderung arbeiten wolle.

Was war denn Ihre erste Aufgabe im Bereich Kunst?

Als erstes hatte ich den Ablauf des jährlich ausgeschriebenen Stipendienwettbewerbes genauer angeschaut – und die ganze Organisation vereinfacht. Wenn ich an die damaligen Bewerbungen denke, sehe ich einen Berg von 200 Paketen. Die Teilnehmenden schickten ihre Unterlagen per Post. Nach dem Wettbewerb schnürte eine Person während einer Woche wieder Päckli. Ich dachte: Wenn jemand von der Stadt gefördert werden will, ist er sicher bereit, persönlich vorbeikommen. Seither bringen die Bewerberinnen und Bewerber ihre Dokumentationen in den Musiksaal des Stadthauses und schreiben sich für den Wettbewerb ein. In 23 Jahren habe ich auf diese Weise jährlich über 200 Gesichter von Kunstschaffenden kennengelernt – und kann auch die entsprechende Kunst dazu setzen. Das ist irgendwie gespeichert.

Wie kamen Sie zur unjurierten «Kunstszene Zürich»?

Diese Ausstellung wird seit 1972 – damals noch in den Züspa Hallen - durchgeführt. 1993 konnte ich sie zum ersten Mal selber organisieren. Weil ich jemand bin, der die Leute sehen und kennen lernen will, führte ich auch hier persönliche Einschreibungen durch. Bei diesen Begegnungen und Gesprächen konnten alle Unsicherheiten geklärt werden. Anhand von Plänen vergab ich gleich die Plätze. Mit Hilfe eines Modells der Ausstellungs-Normkoje konnten die Kunstschaffenden überlegen, wie sie ihre Werke präsentieren wollten. Die Teilnahmegebühren zogen wir bar ein – und ersparten der Buchhaltung viel Arbeit. Der Ansturm von 600 bis 700 Personen liess sich nur bewältigen, weil ich die Ausschreibung über mehrere Tage verteilte. Seither gab es kein Gedränge mehr, das schnell hätte in Aggressivität umschlagen können. Es herrschte immer eine gute Stimmung.

Wie verstanden sich die arrivierten Künstlerinnen und Künstler mit den Amateuren?

Bei diesem Verhältnis zeigte sich eine klare Entwicklung. Erfahrene Künstler schlossen sich vermehrt zu Gruppen zusammen. So erhielten sie einen andern Platz. Wir konnten ja nicht Gruppen in eine der Normkojen stecken. Es gab «Juryfreie» mit über 30 Künstlergruppen.

Das überrascht – man denkt sich doch, dass ambitionierte Künstler eher solo brillieren wollen.

Künstler und Künstlerinnen traten immer weniger als Einzelgänger auf. Natürlich war es auch schön, wenn man einzelne Künstler oder Künstlerinnen an der «Juryfreien» entdecken konnte. Spontan denke ich etwa an Mickry 3 oder GRRRR, denen die ausgestellten Werke wirklich aus den Händen gerissen wurden.

Sie haben an sechs «Juryfreien» in 20 Jahren über 4000 Kunstschaffenden die Chance geboten, sich zu präsentieren. Wie viele Besucherinnen haben sich diese  Ausstellung jeweils angesehen?

Bei der letzten Ausgabe im Dezember 2012 im Freilager-Areal kamen 33‘000 Personen – ein absoluter Rekord. Die Zahl ist erstaunlich, denn all diese Leute strömten herbei, um Kunst zu sehen –es gab ja kein spezielles Unterhaltungsprogramm für Familien oder so.

Die «Juryfreie» war Ihre Passion, wird es die Ausstellung weiter geben?

Ich hoffe es. Es steckt viel Engagement drin, nicht nur von den Veranstaltern, sondern auch von den Kunstschaffenden und nicht zuletzt von den Besucherinnen. Die Ausstellung war immer ein Erlebnis und erforderte extrem viel Einsatz. All die Vorbereitungen…und dann wars mit der Vernissage ja nicht fertig, sondern dann stand ich, zusammen mit meinem Team, in der Weihnachtszeit noch drei Wochen in einer kalten Industriehalle, schmiss das Informationsbüro und verkaufte Kunst. Ich war die erste Person am Morgen und die letzte am Abend. Mit dem Elektrotöffli bin ich abends durch die Hallen gefahren und habe kontrolliert, ob alle Videos abgestellt und alle Kerzen gelöscht waren.

Welche Rückmeldungen erhielten sie von Kunstschaffenden?

Bei Gesprächen erfuhr ich viel über die Arbeitsweise der Künstler und Künstlerinnen, die Schwierigkeiten dieses Berufes und dass viele noch einen Brotjob ausüben und nicht von der Kunst leben können. Und dann diese Wahnsinnsfreude, wenn jemand zum ersten Mal ein Werk verkaufen konnte! Das war dann auch für mich ein Geschenk. Die «Juryfreie» ist übrigens der einzige Ort, wo ich selber Kunst gekauft habe.

Kunstinstallation von Eva Wagner
Spontaninstallation von Eva Wagner. Foto: Juliet Haller

Sie waren nicht nur für die Stipendiengesuche und die «Juryfreie» zuständig, sie haben auch die Arbeit der Kunstkommission begleitet, ja, manche sagen, sie seien deren heimliche Präsidentin gewesen, mit einer Amtszeit von 23 Jahren….

(Eva Wagner lacht). Ja, aber ich habe ja nie entschieden. Ich habe die Tätigkeit der Kommissionen organisiert, habe Unterlagen und Informationen bereitgestellt. Und natürlich war ich nicht immer gleicher Meinung. Aber ich habe mich gehütet, etwas zu sagen. Ich habe mich all die Jahre bemüht, neutral zu sein. Wenn es um Urteile ging, habe ich mich nie eingemischt.

Hat sich die Arbeit der Kunstkommission in all den Jahren geändert?

Sie ist differenzierter und professioneller geworden. Die Mitglieder sind gut informiert, sie achten vermehrt auf Zusammenhänge. Zu Beginn des Jahres werden in jeder Arbeitsgruppe Grundsatzdiskussionen zum Vorgehen geführt. Dies ist auch notwendig. Denn es gibt viel mehr Kunstschaffende und mehr Galerien und Off-Spaces als früher und daher auch viel mehr Gesuche.

Das heisst, es muss stärker ausgewählt werden bei Unterstützungsbeiträgen oder bei Ankäufen?

Ja, und das erfordert einen respektvollen Umgang miteinander.

Leisten Sie es sich jetzt, da Sie pensioniert werden, nicht mehr neutral zu bleiben und ihren Vorlieben nachzugeben?

Das konnte ich schon vorher. Ich bekam die Möglichkeit, im Helmhaus Einzelausstellungen zu kuratieren und musste keinen Moment überlegen, wen ich zeigen wollte: Peter Regli, weil mir sein Konzept des Reality Hacking grossen Eindruck macht, und Ian Anüll, den ich für einen herausragenden Künstler halte, der bescheiden seine Arbeit laufend weiter entwickelt.

Und wer sind heute Ihre Lieblingskünstler?

Es kommen mir viele in den Sinn. Aber ich finde es schwierig, Superlative zu verteilen. Da muss für mich dann nicht nur die Kunst, sondern auch der Mensch stimmen.

Was planen Sie für die kommende Zeit?

Mir fällt es schwer, den Bereich Kunst zu verlassen. Gerade darum bin ich jetzt extrem offen. Ich habe keine konkreten Pläne, sage nicht: Ich fange jetzt an zu gärtnern, obwohl ich das auch gerne mache. Aber ich denke mir schon, dass sich Möglichkeiten ergeben werden, meine Erfahrung in Projekte einzubringen.

Interview: Peter Schneider

Foto: Juliet Haller

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