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Grabungstagebuch: Künstler und Könner

Walter Fasnacht

Walter Fasnacht ist Experte für prähistorische Feuer- und Metalltechnik. Auf der Grabung Parkhaus Opéra ist er für Führungen und Wissenschaftsvermittlung zuständig.

Kunst kommt von Können – käme es von Wollen, hiesse es Wulst. Interessanterweise hat man die steinzeitliche Keramik, die wir hier finden, in der sogenannten «Wulsttechnik» hergestellt, weil man keine Töpferscheibe kannte. Dabei werden die Gefässe aus Tonringen von unten nach oben aufgebaut. Zugegeben: Künstlerisch sieht diese Keramik nicht aus. Es ist immer die gleiche dicke Wand, die gleiche zweckmässige Form. Selten verrät eine Verzierung Gestaltungsdrang.

Gab es im Pfahlbauneolithikum Künstler? Wer sein Steinbeil in die eleganteste Form schleift, seine Pfeilspitze millimetergenau symmetrisch retouchiert und seine Holzgeräte blank poliert, obwohl es nicht überlebenswichtig ist, der zielt auf mehr als nur die Funktion. Auch Farbe spielte eine Rolle, denn zu unseren Funden gehört ein Stück Rötel – ein Mineral, dessen Pulver blutrot färbt.

Also doch Kunst? Im alten Griechenland bedeutete das Wort «techne» sowohl Technik als auch Kunst. Davon würden sich die Techniker von heute wohl gerne eine Scheibe abschneiden. Heute gibt es Techniker, Künstler und – Designer! Was kriegen wir nicht alles an designten Alltagsgeräten vorgesetzt. Stühle, Tische, Plastikeimer, Gabeln, Kugelschreiber und Duschvorhänge – eine designte Kaffeemaschine steht sogar auf der Grabung.

Die Aufgabe oder das Privileg, unsere materielle Kultur selber zu gestalten, haben wir heute weitgehend an Spezialisten delegiert und für die kleinen Reste, die wir im heimischen Wohnzimmer oder Hobbykeller ausleben, den Begriff «Kreativität» erfunden. Was wir auf der Grabung Parkhaus Opéra finden, sind Reste einer Zeit, in der jeder nicht nur Bauer und Handwerker war, sondern mindestens auch Architekt und Designer.

Und Künstler? Mit Sicherheit waren die Pfahlbauer grosse Könner.

(Tages-Anzeiger, 6. September 2010)

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