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Experimentierfreudige Kunst: Herausforderungen bei der Restaurierung

Die Kunst ist ein Experimentierfeld. Das gilt auch für Werke im öffentlichen Raum. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden Skulpturen nämlich nicht mehr nur in klassischer Manier geschnitzt, gemeisselt oder gegossen. Die neuen bahnbrechenden technischen Innovationen erfordern deshalb von der Nachwelt ein ganz besonderes Know-how bei konservatorischen Massnahmen.

Die 1960er- und 1970er-Jahre gelten in der Kunstgeschichte als Epoche der Experimente. Nicht nur neue Kunstgattungen wie Performance, Installation oder Video wurden erfunden. Nein, es gab auch eine Reihe von technischen Erneuerungen, die den Kunstbegriff erweiterten. Nicht zufällig verfasste Umberto Eco in dieser Zeit  sein wegweisendes Essay «Das offene Kunstwerk». Das 1962 veröffentlichte Buch entstand unter dem Eindruck der enormen Innovationen und Aufbrüche in der damaligen Kunst.

Unerprobte Materialien

Auf öffentlichem Boden in der Stadt Zürich befinden sich einige Werke bekannter Schweizer Künstlerinnen und Künstler aus dieser experimentellen Zeit: etwa Jean Tinguelys «Heureka» und die Kunststoff-Plastiken von Carl Bucher oder Annemie Fontana, die in den letzten Jahren umfassend saniert und restauriert werden mussten. Der Sanierungsbedarf entstand vor allem, weil sich sowohl Fontana und Bucher wie auch Tinguely bei der Produktion auf Materialien und Techniken einliessen, deren Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit noch nicht ausgereift und erprobt waren.

Annemie Fontana, «Sirius, Polyester»
Annemie Fontana, «Sirius, Polyester»
Annemie Fontana, «Sirius, Polyester», 1969-1972 (versetzt 2012). © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Martin Stollenwerk, Zürich.
Jean Tinguely, «Heureka»
Jean Tinguely, «Heureka»
Jean Tinguely, «Heureka», Eisenstangen, Stahlräder, Metallröhren, Holzräder, Metallpfanne, verschiedene Motoren, 1963-1964 (platziert 1967). © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Lucrezia Zanetti, Zürich.
Carl Bucher, «Grosses Kissen»
Carl Bucher, «Grosses Kissen»
Carl Bucher, «Grosses Kissen», Polystone, Metall, 1979/2000. © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Cédric Eisenring.

Bucher beispielsweise arbeitete für sein Werk «Grosses Kissen» mit aufblasbaren Ausgangsformen, die er zuerst mit Kunststoff aufschäumte, dann mit Polyester und Glasfasern fasste und schliesslich auf der noch feuchten Oberfläche mit Graphitstaub einfärbte. Die dadurch erzeugte einzigartig graue, elegant-amorphe Form erwies sich leider als wenig wetterbeständig: Innert weniger Jahre verursachten Regen, Schnee und Eis einige Risse und Löcher. Nur mit einer aufwändigen Sanierung konnte die bahnbrechende Plastik 2014 gerettet werden.

Sockel ohne Denkmal: «Turner» am See

Der städtische Bestand von Kunstwerken im öffentlichen Raum wird seit einigen Jahren von der Fachstelle Kunst im öffentlichen Raum KiöR sukzessive aufgearbeitet und überprüft. Dass das Thema des Mediums beziehungsweise der Technik für Werke unter freiem Himmel besonders relevant ist, zeigt der aktuelle Fall des «Turners» von Baptist Hoerbst. Ursprünglich für eine Kunstausstellung konzipiert, wurde die Skulptur von der Zürcher Turnvereinigung «unter Mitwirkung des eidgenössischen Turnvereins sowie mehrerer kantonaler Turnverbände» der Stadt geschenkt, damit sie ab 1898 an der Seeanlage beim Arboretum öffentlich präsentiert werden konnte. Seit den Jugendunruhen im Zuge der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts wurde der «Turner» mehrmals vom Sockel gestürzt. Beschädigt ist die Skulptur nun seit 1989 im Depot der Denkmalpflege eingelagert. Der Sockel mit der Inschrift «Vaterland nur dir» steht verwaist im Park.

Der lädierte «Turner» von Baptist Hoerbst im Depot: «Vivat Patria», Galvano, 1886/1898 (eingelagert 1989), © Stadt Zürich, KiöR.

Technisch gesehen ist der «Turner» eine Galvanoplastik und besteht im Kern aus Gips, dessen Oberfläche mit einem dünnen Metallüberzug versehen wurde. Das Verfahren war weitaus billiger als ein massiver Bronzeguss. Die Technik kam zur Anwendung, um Geld zu sparen. Im Fall des «Turners», der wohl ursprünglich nicht für den öffentlichen Raum geplant war, erweist sich dies als problematisch. Das Werk ist fragil und seine Restaurierung ist mit hohem Aufwand verbunden.

Kunstproduktion um 1900

Im Rahmen von Quellen-Recherchen zum «Turner-Denkmal» wurden nun weitere Dokumente im Stadtarchiv zutage gefördert, die Aufschluss geben über die im späten 19. Jahrhundert üblichen Praktiken der Kunstproduktion und der Kunstvermarktung.

Ein Sujet für Postkarten: Alphornbläser am Zürichhorn. Baptist Hoerbst, «Alphornbläser», 1883, Postkarten, © Stadt Zürich, KiöR.

Hoerbst, der sein Atelier im thurgauischen Hauptwil betrieb, war ein gefragter Bildhauer, schuf viele Porträtbüsten und zeigte seine Werke gerne auch auf den damals regelmässig stattfindenden Landesausstellungen. Neben dem «Turner» (erstmals 1886 in Zürich gezeigt), stellte er in Zürich 1883 einen «Alphornbläser» auf, der in Gips gearbeitet war. Das Werk sorgte für Furore und noch fast 30 Jahre später gab es Bestrebungen, den «Alphornbläser» am Zürichhorn in einer wetterbeständigeren Technik neu zu errichten. 1911 fand in Zürich das Eidgenössische Schwingfest statt und Hoerbst witterte im Rahmen dieses Grossanlasses eine Chance, die Skulptur in «dauerhafterem Material» zu produzieren. Um Geld zu sparen, schlug Hoerbst vor, die «Statue in gelblicher Muschelkalkimitation erstellen zu lassen, ein Material, welches bei sachgemässer Zubereitung und Verwendung bezüglich Wetterbeständigkeit und Dauerhaftigkeit dem Naturstein vollkommen ebenbürtig ist.»

«Alphornbläser» und Geissbock in Gips: Hat nur als Fotografie überlebt.

Kunststein war ein damals relativ neues Material, das aufgrund der günstigen industriellen Herstellung vor allem beim Bau von Gebäuden eingesetzt wurde und die aus Steinbrüchen stammenden Natursteine ersetzte. Das von Hoerbst vorgeschlagene Muschelkalk-Imitat war erheblich billiger als andere Techniken. «Man müsse danach trachten», schrieb der Künstler an einen potenziellen Geldgeber, «die Statue so billig als möglich zu erstellen, um die nötigen Geldmittel zusammenzubringen». Hoerbst veranschlagte für die drei Meter hohe Statue des «Alphornbläsers», inklusive Sockel und Geissbock, einen Preis von 7000 Franken. Und folgerte: «Man sollte meinen, dass diese relativ kleine Summe im Vergleich zu den 10- und 20fach höheren Kosten anderer Denkmäler bei gutem Willen noch aufzubringen wäre».

Das Projekt wurde nie realisiert. Und am Zürichhorn, dort, wo Hoerbsts «Alphornbläser» aus Gips vom Brauchtum der heroischen Urschweiz zeugte, entstanden 1939 die Bauten für eine neue Landesausstellung, die Landi.

Das Beispiel mag zeigen, welch interessante, überraschende Einblicke sich bei Recherchen der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum KiöR ergeben. Die Recherchen helfen mit zu klären, ob die Bedeutung des Kunstwerks eine Restaurierung des Originals und die Herstellung einer Replik rechtfertigt. Materialtechnisch müsste sich im Fall des «Turners» die Replik für den Einsatz im öffentlichen Raum eignen. Das restaurierte Original wäre in einem Innenraum aufzustellen.

Text: Christoph Doswald

Fotos

  • Carl Bucher, «Grosses Kissen», Polystone, Metall, 1979/2000. © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Cédric Eisenring.
  • Annemie Fontana, «Sirius», Polyester, 1969–1972 (versetzt 2012). © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Martin Stollenwerk, Zürich.
  • Baptist Hoerbst, «Vivat Patria», Galvano 1886/1898 (eingelagert 1989). © Stadt Zürich, KiöR.
  • Jean Tinguely, Heureka, Eisenstangen, Stahlräder, Metallröhren, Holzräder, Metallpfanne, verschiedene Motoren, 1963–1964 (platziert 1967). © Stadt Zürich, KiöR. Foto: Lucrezia Zanetti, Zürich.

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