Mobile Menu

Navigation

Meta Navigation

Hilfsnavigation

Global Navigation

Erinnerungsarbeit und Sichtbarkeit – Denkmalpräsenz in der Stadt

I. Denkmallandschaft in der Stadt

In den letzten Jahren hat eine Revision öffentlicher Räume begonnen, sei es in der Frage von Strassennamen, sei es bei bildlichen Darstellungen, die nicht mehr für alle Bevölkerungsteile tolerierbar sind – Massstab ist eine tolerante, Minderheiten nicht-diskriminierende Gesellschaft einerseits, andererseits die Bewahrung von Objekten in ihrer (kunst-)historischen Bedeutung [1].  Die grundlegende Unterscheidung des denkmal-historischen und des künstlerischen Beitrags eines Objekts führt in Auseinandersetzung mit der Geschichte dabei teils zu unterschiedlichen Bewertungen. Diskriminierende Darstellungen stellen einen anderen Fall dar als die Überrepräsentanz von bestimmten Protagonisten oder Gruppen (z. B. von männlichen Politikern und bürgerlichen Unternehmern). Die gesellschaftliche Debatte, wer eigentlich in öffentlichen Räumen repräsentiert ist, kann dabei nur aktualisiert, nicht aber abgeschlossen werden. Ein ewig-gültiger Konsens ist nicht zu erreichen – weil sich die historische Bedeutung von Personen, Symbolen und Kontexten ändern kann. Denkmäler werden oft erst im Nachhinein zu einem Motiv oder einem Gedenkort [2], der gesellschaftlich breit akzeptiert ist, häufig erst durch Verschiebungen in Bedeutung und Interpretation [2].  Nimmt man diese Erkenntnis ernst, wird klar, dass zum einen die gegenwärtige Denkmal-Kritik richtig ist, zum anderen eine heutige Denkmal-Auffassung nicht daran orientiert ist, welche Personen und Objekte gesellschaftlich zeitlos «konsensfähig» werden könnten. In beiden Fällen geht es darum, historisch-gesellschaftliche Kontexte herzustellen, und nicht um blosse Sichtbarkeit.

II. Die Aufstellungspraxis von Denkmälern und Kunst in öffentlichen Räumen

In der Stadt Zürich ist die überwiegende Zahl der Denkmäler aus Initiativen von gesellschaftlichen Gruppen entstanden, die die finanziellen Mittel zur Aufstellung aufbrachten. Denkmäler initiierte nicht die Stadtverwaltung, sondern es waren Gruppen, die deutlich machen konnten, dass das Wirken einer Person von Bedeutung sei. An diese Denkmäler knüpften die Initiatoren auch «Werte»: privates Unternehmertum, folgenreiche Infrastrukturbauten, gesellschaftliches Engagement oder philanthropisches Wirken. Allerdings darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in zahlreichen Fällen auch Denkmäler, die für einen anderen Zweck gestiftet worden waren, im öffentlichen Raum aufgestellt wurden: Das Turner-Denkmal in Zürich war ein solches Beispiel, die Büste für Georg Heim am Heimplatz ein weiteres. Das «Verdienst» für die Gesellschaft ist insofern kein absolutes Kriterium für Aufstellung und Bestand eines Denkmals, als auch dieses historischen Schwankungen unterliegt.

Heute ist die Stadtverwaltung die Kuratorin und zuständig für die Pflege der historisch überlieferten Objekte im Stadtraum. Die städtische zeitgenössische Kunstförderung soll zudem eine vielseitige, multiperspektivische Produktion von Kunst ermöglichen, in Auseinandersetzung mit den Räumen und historischen Schichten der Stadt. Die Aufstellung von Denkmälern muss aus den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen verstanden werden und kann auch heute noch aus der Aktivität gesellschaftlicher Gruppen erfolgen. 

Anna Maria Bauer, Ohne Titel (Blockskulptur für Gedenkstätte Katharina von Zimmern, letzte Äbtissin von Zürich), 2004. 37 Vollguss-Kupferquader, Textband aus Kupfer auf Bodenbelag, 99,7 x 206,5 x 59,5 cm. Kunst und Bau, Stadt Zürich/Foto Martina Issler, Zürich, für Barbara Hutzl-Ronge, Zürich – Spaziergänge durch 500 Jahre überraschende Stadtgeschichten, AT Verlag, Aarau 2019.

III. Repräsentation und Dialog

Instagram Bild von «The Bristol Eighteen», Juni 2020. Foto © Alasdair Doggart
Instagram Bild von «The Bristol Eighteen», Juni 2020. Foto © Alasdair Doggart

Die Frage nach einer Repräsentation von Bevölkerungsgruppen oder Minderheiten in Denkmälern kann von der Stadt nur aufgrund von Eingaben behandelt werden, nicht im Sinne einer «Staatskunst» von oben. Kaum können und sollen alle Minderheiten, alle wichtigen Personen, alle Perspektiven Denkmäler in der Stadt erhalten. Vielerorts werden jedoch für die aus der Geschichte Verdrängten neue Denkmäler errichtet, an denen sich zeigen lässt, welche Fragen Forderungen nach «Sichtbarkeit» aufwerfen: Nach dem Sturz eines mit dem Sklavenhandel verbundenen Personen-Denkmals durch Aktivist*innen der Black Lives Matter Bewegung stellte sich die Aktivistin Jen Reid 2020 in Bristol auf das Podest und reckte die Faust gen Himmel. Das Foto ging viral.

Der Londoner Künstler Marc Quinn übersetzte das Bild direkt in eine Plastik und stellte sie auf den leeren Sockel. Statt Zustimmung für die «Wiedergutmachung» erntete er Kritik: Er habe sich als weisser Mann das Thema zum eigenen Ruhm angeeignet. Aus der Perspektive der Aktivist*innen waren das Foto und die Aktion richtig, die Statue jedoch falsch. Letztere war allerdings nur so lange falsch, bis öffentlich wurde, dass Reid als Mitautorin an der Abformung von Körper und Pose wie auch der Aufstellung beteiligt war. Das Beispiel verdeutlicht, wie wichtig die Perspektive der Akteur*innen ist und in wessen Handlungsmacht ein Objekt (ent)steht.

Foto vom 15. Juli 2020: Marc Quinn u. Jen Reid: «A Surge of Power (Jen Reid)» 2020, schwarzes Harz und Stahl, Höhe: 2,3 m, Bristol (inzwischen entfernt).
Foto vom 15. Juli 2020: Marc Quinn u. Jen Reid: «A Surge of Power (Jen Reid)» 2020, schwarzes Harz und Stahl, Höhe: 2,3 m, Bristol (inzwischen entfernt).

Angesichts der medialen Öffentlichkeit kommt der «Sichtbarkeit» im öffentlichen Raum heute eine neue Dimension als Mittel der Repräsentation zu. Deshalb müssen diese Statuen hyperrealistisch gestaltet sein. Das Material ‹muss› dunkel glänzen wie Bronze, damit die Aufgabe in Analogie zu den alten Denkmälern erfüllt wird: als Kompensation, im Namen einer rückwirkenden Gerechtigkeit für verschwiegene, unterdrückte, unsichtbar gemachte Protagonist*innen der Geschichte. Zwischen Gesinnungskunst und Symbolpolitik sollte aber auch betont werden, dass gesellschaftliche Repräsentation qua Denkmal weniger wichtig ist als die politische Partizipation und die Beschäftigung mit der Geschichte – Sichtbarkeit ist nicht allein mit einer ‹lesbaren› Figur herzustellen. So ist der Fall des ‹Denkmals› «A Surge of Power», das schon wenige Tage nach der Aufstellung wieder entfernt wurde, durch die Beteiligung verschiedener Öffentlichkeiten geprägt: Dieses ‹illegale Denkmal› findet nun in digitaler Form und in Kunstausstellungen seine Aufgabe als Zeuge politischer Konfrontation – und damit eine produktivere Sichtbarkeit als in Form einer materiell-dauerhaften Präsenz im Stadtraum.

Michaela Melián: Memory Loops, online-Archiv mit 300 Tonspuren lokaler Geschichtszeugen zu Orten des NS-Terros in München 1933-45. https://www.memoryloops.net/

Wie wichtig die gesellschaftlichen Aushandlungsfelder als Teil des Denkmals sind, zeigen nach wie vor die «Stolpersteine» von Gunter Demnig. Das seit 2003 entwickelte Konzept, vom Nationalsozialismus verfolgten Personen in Form von 10 x 10 cm grossen Messing-Pflastersteinen mit der Inschrift ihrer Lebensdaten ein dezentrales Denkmal zu setzen, entspringt der jeweiligen Rechercheinitiative von Einwohner*innen. Der Verein Stolpersteine e.V. [3] gibt Hilfestellungen zur Recherche, bietet ein digital vernetztes Archiv und organisiert die Verlegung des Stolpersteins – auch in der Schweiz.  Neuere künstlerische Konzepte dialogischer oder «post-repräsentativer» Kunst setzen verstärkt auf dynamische Prozesse mit der Bevölkerung und politische Aushandlungsforen. Solch partizipative Formate in der Erinnerungskultur bestärken die zivilgesellschaftliche Komponente der Auseinandersetzung mit Geschichte und Orten, wie eine Studie 2022 nachwies [4].  Dabei spielen künstlerische Interventionen eine herausragende Rolle. Einen besonderen Hinweis verdient die Frage des Übergangs von privaten Erinnerungen ins öffentliche Gedächtnis: Bislang ungehörte Stimmen können und sollen dokumentiert und hörbar gemacht werden, wie zum Beispiel mit Michaela Meliáns «Memory Loops» in München [5].  Denkmalkultur ist ebenso wie gelebte Demokratie nicht ein Zustand, sondern eine (manchmal konflikthafte) dialogische, mehrstimmige Arbeit am Notwendigen und an der aktuellen Interpretation der Geschichte.

Text: Bärbel Küster, Professorin für moderne und zeitgenössische Kunst der Universität Zürich, Mitglied Kommission Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) Stadt Zürich

[1] Vgl. Georg Kreis: Die öffentlichen Denkmäler der Stadt Zürich. Ein Bericht im Auftrag der Arbeitsgruppe KiöR, (2021), unter: https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/departement/medien/medienmitteilungen/2022/april/220413d.html

[2] Das Löwendenkmal in Luzern wandelte seine Bedeutung vom Gedenken eines Kompanie-Mitglieds an die unter dem absolutistischen französischen König gefallenen Schweizer Gardisten im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem «Opfer für die Nation» und der Verbildlichung des Hinscheidens des alten feudalen Systems (Vgl. Manfred Hettling: Hettling, Manfred: Einleitung, in: Manfred Hettling / Jörg Echternkamp, (Hg.): Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 11–42). Vgl. a. Fabienne Meyer zu Schweizer Armee- und Gefallenendenkmälern: Ein weiteres Beispiel ist die Tatsache, dass die Proteste bei der Aufstellung des Escher-Denkmals 1889 viele Jahrzehnte in Vergessenheit gerieten. Vgl. z.B. Barbara Bastings Beitrag zum Denkmal von Vincenzo Vela, unter https://blog.nationalmuseum.ch/2023/01/kein-grosser-bahnhof-fuer-die-opfer-der-arbeit/

[3] https://www.stolpersteine.ch

[4] DOI: https://zenodo.org/record/6539433; oder: https://www.sagw.ch/sagw/aktuell/publikationen/details/news/erinnerung-partizipativ-gestalten-zivilgesellschaftliche-teilhabe-an-der-gestaltung-oeffentlicher-erinnerungskultur-in-der-schweiz

[5] Online seit 2010: https://www.memoryloops.net/#/home

Weitere Informationen