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Schlüssige Eleganz

Florin Granwehr – erhalten und entdecken

Im Auftrag der Fachstelle Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) hat die Kunstgiesserei St. Gallen kürzlich die Stahlplastik «Axiomat» von Florin Granwehr (1943–2019) restauriert. Speziell für den Ort entwickelt, steht sie seit 1990 an der Schifflände in Wollishofen und ist eines von rund zwanzig grossen Werken im öffentlichen Raum, die der Plastiker und Zeichner Granwehr ab den 1970er-Jahren in der Schweiz und im Ausland realisiert hat. Alleine acht davon stehen in Zürich in unterschiedlichen urbanen Kontexten – Universität, Friedhof, Klinik, Bezirksgebäude. Wer sie gesehen hat, erinnert sich an die filigranen geometrischen Strukturen aus Stahl, auch ohne ihre Titel «Raumnaht», «Kantensprung» oder «Angulon» zu kennen. Und vielen Passantinnen und Passanten dürfte selbst der Name des Künstlers nicht geläufig sein.

Die lädierte Stahlplastik «Axiomat» wird demontiert und wegtransportiert.
Die lädierte Stahlplastik «Axiomat» wird demontiert und wegtransportiert.

Mit der Instandsetzung von «Axiomat» belegt die Arbeitsgruppe KiöR den respektvollen Umgang mit Werken, die für die Identität ihrer Standorte von Bedeutung sind. «Axiomat», diese weiss bemalte, über sieben Meter hohe Figur wirkt heute wieder frisch wie am ersten Tag. Sie ist mit dem Ort liiert wie die Möwen darum herum, wie das Wasser und der Himmel über dem Zürichsee.

Die frisch restaurierte Skulptur wird wieder am See in Wollishofen platziert.
Die frisch restaurierte Skulptur wird wieder am See in Wollishofen platziert.

Von den 70er-Jahren bis zur Jahrtausendwende reihte Granwehr Stipendien, Preise und Aufträge aneinander. Allmählich allerdings verringerte sich die öffentliche Aufmerksamkeit. Der Künstler schien ein wenig aus der Zeit zu fallen. So waren es eher ruhige bis stille Jahre vor und nach seinem Tod 2019. Dennoch hat sich ein enger Zirkel kontinuierlich für Granwehrs Werk eingesetzt und später den Nachlass zu sichern begonnen. Und nun kommt richtig Bewegung ins Spiel.

Im Haus Konstruktiv ist für Oktober 2021 eine Retrospektive in Vorbereitung. Anhand einer exemplarischen Werkauswahl wird sie die obsessive Faszination des Künstlers für Massverhältnisse, Proportionen und Rhythmen der Geometrie wieder ins Bewusstsein eines breiteren Publikums rücken. 

Jenseits von Trends

Das Beispiel Granwehr zeigt, dass Künstlerinnen und Künstler jenseits von Tagestrends und Kunstmarktinteressen eine «Renaissance» erleben können. Entsprechend ist die Sorgfalt, mit der die öffentliche Hand «Axiomat» restaurieren liess, nicht als konservatorische Massnahme für eine ins Historische rückende Kunstposition zu verstehen, sondern als Initiative auf dem Weg zur Wiederentdeckung eines komplexen Werks und ihres nicht minder komplexen Autors. Manchmal braucht es wohl etwas Zeit und ein wenig Distanz. Bisweilen scheint es sogar erst nach dem Ableben einer Künstlerin oder eines Künstlers möglich, sich vertieft mit dem Werk auseinandersetzen und eine Retrospektive planen zu können. So ist es auch bei Florin Granwehr. Erst sein Nachlass hat die Fülle seiner Arbeiten offengelegt.

Schönheit und Eleganz: «Axiomat».
Schönheit und Eleganz: «Axiomat».

Granwehr repräsentiert, auch wenn er das von sich gewiesen hat, die Nachfolgegeneration der Zürcher Konstruktiven. Traditionslinien sind in Zürich nicht scharf zu trennen. Bei Granwehr verschmelzen die Generationen und Schulen. Was kann es Besseres geben? Sein Name steht für die Kunst des schönen Denkens, die Ästhetik als Wahrnehmung aller Art begreift – sinnlicher wie geistiger, alltäglicher wie künstlerischer. Was er suchte, war die schlüssige Eleganz der Formentwicklung seiner Plastiken im Freien, die Genauigkeit der Ausführung und die exakte Situierung am spezifischen Ort. Was ihn in der Intimität seines weiss gestrichenen und minimalistisch eingerichteten Altbau-Ateliers antrieb, war die unermüdliche Übersetzungsarbeit seiner Gedanken mit Bleistift und Lineal auf Papier.

Filigrane Riesen

Es ist kaum vorstellbar, wie viel Arbeit im mit Präzision und Fingerspitzengefühl gestalteten Giganten «Axiomat» steckt. Zu einem für die Öffentlichkeit anschaulichen Höhepunkt fand die aufgewendete Sorgfalt von Granwehr, als seine grösste Plastik, «Transeunt», 2005 von einem russischen Transporthelikopter vor das ehemalige Schwesternhochhaus an der Plattenstrasse gesetzt werden musste. Gemeint ist nicht nur der jeweilige Aufwand bei der materiellen Umsetzung. Die entscheidende Grundlage lag im Prozess der Formfindung. Dafür entwickelte Granwehr ein Theorem, realisierte akribisch ins Unendliche tendierende Zeichnungsserien. Und er produzierte aberdutzende masshaltige, kleine Entwurfsplastiken, die sein Atelier bevölkerten. Sie dienten ihm als Modelle und zusehends als eigenständige, in sich abgeschlossene Arbeiten.

Schaut man sich seine filigranen Riesen im öffentlichen Raum an und lässt den Blick am Weiss oder Chrom entlanggleiten, merkt man erst, wie sehr es Granwehr gedrängt haben muss, aus seinen Gedanken, seinen Zeichnungen und Modellen, solch grosse Geschöpfe für die freie Wildbahn zu kreieren. Sie loten den Raum aus, während die Zeichnungen im Atelier in Kartonschachteln fein säuberlich archiviert sind. Versteckt im Archiv bilden sie Granwehrs Anker. Sie dokumentieren die geometrische Reinheit des Gedankens. Das Haus Konstruktiv wird eine Auswahl davon fürs Publikum lichten und die Traditionslinien zusammenführen.

Solange Florin Granwehr bei Ausflügen zu seinen Werken auf den Irchel, nach Unter- und Oberstrass, Witikon, Fluntern und Wollishofen von seinem Kosmos erzählte, immer etwas vorsichtig, so, als wolle er nicht aufdringlich erscheinen, fügte sich alles wunderbar. Um das Werk heute zu verstehen, braucht es das Museum ebenso wie den öffentlichen Raum. Wie beim Gehirn ergänzen sich diese beiden Sphären. Florin Granwehr hätte sich über das doppelte Augenmerk, das seinem Werk gerade zuteilwird, gefreut, leicht beschämt zwar. Doch es wäre auch ihm gewiss eine Herzensangelegenheit gewesen.

Text: Juri Steiner

Foto: Peter Baracchi (Demontage und Montage) / Anni Katrin Elmer (frisch restauriertes Werk)

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