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Öffentlichkeit im Zeitalter medientechnologischer Disruptionen

Das Konzept des Öffentlichen, dies wissen wir nicht erst durch den Philosophen Jürgen Habermas, ist zentral für demokratische Gesellschaften1. Ergänzt um die theoretischen Einordnungen Chantal Mouffes2 und Oliver Marcharts3 respektive deren Modell des agonistischen Konflikts, lässt sich des Weiteren basal feststellen: Der öffentliche Raum ist politischer Natur. Er baut auf Austausch, Verhandlungen und Konflikten auf.

Im Spannungsfeld von (theoretischen) Öffentlichkeitsdiskussionen, die die bildenden Künste betreffen, wird jedoch weniger vertieft diskutiert, dass das Öffentliche ebenso mediale Dimensionen hat, die durch aktuellste technologische Entwicklungen konstant transformiert werden. Vom Flugblatt zur TV-Debatte und aktueller zu Social-Media-Posts wandelt sich unser Begriff des Öffentlichen mit den Medientechnologien, die unsere Gegenwart dominieren. Folgerichtig verändern sich unentwegt (Macht-)Konstellationen, tun sich mit nur vorgeblich neutralen Netzwerktechnologien neue «Foren» auf, die in ihren Anlagen und Auswirkungen erst verstanden werden müssen. Wie der öffentliche Raum bzw. Öffentlichkeit medial organisiert wird, hat dementsprechend nicht nur gravierende Auswirkungen darauf, wie wir (politisch) interagieren, sondern auch, wie sich die bildende Kunst ausserhalb von Ausstellungsinstitutionen entfalten kann. Die Coronapandemie hat verdeutlicht, dass in der «Öffentlichkeit» längst eine Verlagerung zu einer hybriden Form stattgefunden hat, in der medialer und physischer Raum ineinander verwoben sind. Will man das Öffentliche als solches zielführend angehen, rückt heute das in den Blick, was als «post-digital», als Zustand nach der Transformation durch digitale Medientechnologien, beschrieben wird. Für die KiöR der Stadt Zürich stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Was bedeutet Öffentlichkeit nach der vollzogenen digitalen Transformation unserer westlichen Gesellschaften für die bildende Kunst? 

Kommerziell motivierte Information

Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, den Begriff der «Disruption» einzuführen. Eine disruptive Technologie wird ökonomisch als ein Durchbruch, eine Neuerung verstanden, die es erlaubt, bestehende Produkte zu verdrängen bzw. diese mit neuen Produktfunktionen obsolet zu machen.4

Und dieser Disruptionsbegriff ist zentral, will man den öffentlichen Raum im Spannungsfeld des Post-Digitalen angehen, denn der Marktbegriff wird in diesem disruptiven Bezugssystem sehr weit gefasst. Eine Firma wie Uber vermietet keine Taxis, sondern vernetzt Anbieter*innen (Fahrer*innen) mit potenziellen Kund*innen. Googles Street View erlaubt es uns, vor unseren Computerdisplays den physischen Raum zu erkunden und absorbiert dabei die Strassenszenerien unserer Städte für sein Portfolio. Kommunikationsdienstleister wie Twitter verändern unsere Interaktionsstrukturen, weg vom physisch direkten Austausch, hin zu technisch gesteuerten Kommunikationsforen, zu einer digitalen Agora, in der unter Einsatz von attraktiven Inhalten und bezahlter technischer Multiplikation von Posts Aufmerksamkeit generiert wird. All die genannten Dienstleister verbindet also, dass sie sich existierende «Ressourcen» aneignen, dass sie diese privatwirtschaftlich neu organisieren. Die disruptive Innovation baut also auf Transformationen historisch gewachsener bzw. im Laufe der Geschichte spezifisch organisierter ökonomischer und kommunikativer Interaktionsstrukturen auf. Und dies ist als problematisch einzuordnen. Wie beispielsweise die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff herausarbeitet, basiert diese Art des disruptiven Kapitalismus im Grunde auf invasiven und usurpierenden Strategien, die vor allem Gemeinschaftliches für den Profit einzelner Personen extrahieren.5 «Öffentliche Güter» werden aktuell mit viel Marktmacht auf spezifisch ökonomische Interessen hin zugespitzt; dadurch wird der klassische politische Diskurs verdrängt.

Kunst, Konflikt und Kommunikation

Der öffentliche Raum, wie er sich in unserer post-digitalen Gegenwart herauszuschälen beginnt, ist dementsprechend kaum noch von wirtschaftlichen Playern und deren Zugriffen zu trennen. Künstler*innen, die planen, in die neue post-digitale Öffentlichkeit zu intervenieren, bewegen sich folgerichtig in einer ökonomischen Kampfzone, die durch fragwürdige Setzungen mitunter hochkapitalisierter Unternehmen restriktiv organisiert wird. Strategien des Hackings, des kreativen Umschreibens und kritischen Unterwanderns von technologischen Machtkonstellationen rücken dementsprechend in den Blick.

Es bedarf heutzutage also der Initiativen, die (wieder) verhandelbar machen, was im (medialen) öffentlichen Raum zu sehen sein soll. Es bedarf expliziter künstlerischer Zugriffe, die sowohl fragwürdig machen wie auch zur Diskussion stellen, wie unser alltägliches Erleben im (digitalen) städtischen Raum kanalisiert und nutzbar gemacht wird, respektive, was dieses Erleben im Gegenzug im positivsten Sinne kennzeichnen könnte. Und hierzu muss für öffentliche Räume das Potenzial politischer (konfliktueller) Kommunikation bewahrt und in technologischen Umfeldern überhaupt erst etabliert werden. Die Werkzeuge hierfür zu suchen ist eine Aufgabe, die heute mit zeitgenössischen Künstler*innen angegangen werden kann / angegangen werden muss. 

Text: Heiko Schmid, Vorsitzender Kommission KiöR Stadt Zürich

Literaturliste

  • (1) Kernbauer, E. Das Publikum in der Kunsttheoretischen Tradition: Wege zur Öffentlichkeit (und zurück). In Das Publikum in der kunsttheoretischen Tradition: Wege zur Öffentlichkeit (und zurück); transcript Verlag, 2014; pp 49–72. https://doi.org/10.1515/transcript.9783839416730-004.
  • (2) Mouffe, C. Art and Democracy: Art as an Agonistic Intervention in Public Space. Open 2008, 14, 6–15.
  • (3) Marchart, O. Conflictual Aesthetics: Artistic Activism and the Public Sphere. 2019.
  • (4) Danneels, E. Disruptive Technology Reconsidered: A Critique and Research Agenda. J. Prod. Innov. Manag. 2004, 21 (4), 246–258. https://doi.org/10.1111/j.0737-6782.2004.00076.x.
  • (5) Zuboff, S. The Age of Surveillance Capitalism: The Fight for a Human Future at the New Frontier of Power; Profile Books, 2019.

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