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Wie lange muss ein Kunstwerk erhalten bleiben?

Der unbedingte Erhalt bedingter Kunst. Zur Materialkonservierung von Kunstwerken im öffentlichen Raum.

Mit steigendem Ansehen der künstlerischen Arbeit als geistige Tätigkeit ging ein handwerklicher Verlust einher, der insbesondere Auswirkungen auf die Materialität von Kunstwerken hatte. Die neu gegründeten Kunstakademien lösten im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts die bisher auch als Lehrstätte verstandenen Werkstätten der Meister ab, wo die Werkstoffkunde noch als ein wichtiger Bestandteil der Kunstausbildung eingestuft worden war. Auf dem Lehrplan standen neu Fächer, die stärker mit der ideellen Aufwertung der Kunst in Einklang waren und den Weg des bis anhin meist männlichen Künstlers vom Handwerker zum Genie markierten.

Gleichzeitig machte auch die Industrialisierung nicht Halt vor dem Kunstbereich und veränderte die Produktionsweise der Kunstschaffenden. Industriell und in Serien gefertigte Utensilien, günstigere Produktionsverfahren und neu zur Verfügung stehende Materialien wurden besonders in der bisher sehr kostenintensiven Bildhauerei als vielversprechend angesehen. Nicht selten waren aber damit qualitative Einbussen verbunden.

Materialien mit ungewisser Zukunft

Baptist Hoerbst, «Vivat Patria»: Die lädierte Plastik ist seit 1989 im Depot der Denkmalpflege eingelagert.
Baptist Hoerbst, «Vivat Patria»: Die lädierte Plastik ist seit 1989 im Depot der Denkmalpflege eingelagert.

Auch der Künstler Baptist Hoerbst (1850–1927) griff für die Herstellung seiner Plastiken auf fortschrittliche technische Mittel zurück. Bei der bis 1989 im Arboretum in Zürich stehenden Figur «Vivat Patria», auch als «Turner-Denkmal» bekannt, setzte Hoerbst die damals neue Galvanotechnik ein. Interessant war, dass die Statue wie eine Bronze aussah, im Vergleich die Herstellungskosten aber niedriger und die Ausarbeitung der Details einfacher waren. Heute stellt sich heraus, dass die über einen Gipskern geformte dünne Kupferschicht schnell korrodiert und Witterung sowie Übergriffen nicht standhält. Während die Sockelinschrift «Vaterland, nur dir» zur Zeit der Einweihung des Kunstwerks 1898 wie die Konzepte Heimat und Nation positiv verstanden wurde, löste diese dagegen in den 1980er-Jahren Unmut aus. So wurde das durchtrainierte Mannsbild mehrmals vom Sockel gestürzt, wobei das weiche und wenig resistente Material schwer beschädigt wurde. Seither liegt der siegreiche Fechter im Depot, weil auch eine teure Restaurierung seine Wiederaufstellung im Aussenraum nicht ermöglichen würde.

Experimentierfreude versus Konservierung

Ernst Suter, «Männlicher Akt»: Bröselndes Relief.
Ernst Suter, «Männlicher Akt»: Bröselndes Relief.

Mit der zunehmenden sozialen Akzeptanz des Künstler*innenberufs ist gleichzeitig der Wunsch gewachsen, originale Kunstwerke möglichst lange zu erhalten. Paradoxerweise stehen aber die konservatorischen Ansprüche in Kontrast zur Euphorie und Experimentierfreude von Kunstschaffenden gegenüber neuen und fortschrittlichen Materialien. Spätestens mit dem während der Avantgarde des 20. Jahrhunderts einsetzenden Materialfortschritt wird in Kunstströmungen wie Futurismus, Dadaismus und Surrealismus das Material sogar als Begrenzung überwunden: Ästhetische Normen werden hinterfragt und aufgebrochen. Ab diesem Zeitpunkt wird alles und mit allem möglich – für Sammlungen eine Herausforderung.

Seither halten neue Stoffe Einzug in die künstlerische Praxis und erweitern die Gestaltungsmöglichkeiten. Die Kunstwerke «Muschel» (Badi Mythenquai), «Sirius» (Hallenstadion Oerlikon) und «Sunrise» (Hardhof) von Annemie Fontana (1925–2002) zeigen, wie stark in den 1960er- und 1970er-Jahren die Verbindung von technischer und formaler Innovation in der Kunst war. Mit den neuen Kunst- und Schaumstoffmaterialien konnte Fontana bis anhin nicht mögliche Formen schaffen und neue Massstäbe setzen. Unbekannt war jedoch, wie sich Polyester in Zukunft verhalten würde und wie lange er beständig bliebe. Im Bereich der Konservierung und Restaurierung wissen wir heute, wie komplex und anspruchsvoll die Instandsetzung und der Unterhalt dieser Werke sein kann. Allerdings haben aber genau diese Objekte einen hohen künstlerischen Wert. 

Das Relief von Ernst Suter nach der Restaurierung von Juli bis Oktober 2023.

Auch bei herkömmlichen Materialien wie Marmor oder Granit zeigt sich fehlendes Wissen in deren Einsatz, insbesondere, wenn sich das Oeuvre eines Kunstschaffenden nicht mehr auf ein einziges Medium oder Material beschränkt. In Zürich kann das an den Beispielen der Kunstwerke von Ernst Suter (1904–1987) und Robert Lienhard (1919–1989) beobachtet werden.

Nicht nur die exponierte Lage und die Witterung gefährden das Relief «Männlicher Akt» von Ernst Suter am Seilergraben und die Brunnenfigur «Wirbel» von Robert Lienhard beim Platzspitz, sondern auch deren inadäquate Herstellungsweise. Beide Künstler haben den Werkstoff in der falschen Richtung, das heisst, gegen die Schichtung des jeweiligen Gesteins bearbeitet, was die Objekte anfälliger macht. Grössere Restaurierungen waren notwendig, beim Werk von Lienhard sogar schon mehrmals. Auf die aus einem Steinklotz erschaffene Brunnenskulptur wirken seit ihrer Entstehung 1954 sowohl exogene als auch endogene Kräfte. Die immer wieder aufbrechenden Übergänge zu Flossen und Armen der sirenenartigen Figuren sind auch mit grösseren Sanierungsmassnahmen nicht aufzuhalten. Aus konservatorischer Sicht fragt sich, wie oft das Werk noch restauriert werden kann und wie stark der «Flickenteppich» durch Eingriffe die Wirkung des Objekts beeinträchtigt. 

Robert Lienhard, «Wirbel»: anfällige Eleganz.

Standards für die Pflege der Kunst

Um einen systematischen Umgang zu finden und den Erwartungen und Herausforderungen der Pflege von Kunstwerken im Aussenraum gerecht zu werden, hat die Fachstelle Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) für ihr Vorgehen Standards festgelegt. Ethische Prinzipien der Kunstkonservierung sowie urheberrechtliche Bestimmungen, aber auch finanzielle und nachhaltige Aspekte müssen abgewogen werden. So kann sich die Handhabung der KiöR mit ihrem Kunstgut von derjenigen eines Museums oder von anderen Sammlungen durchaus unterscheiden.

Vorrang haben die ununterbrochene Präsentation und die direkte Einbindung der Kunstwerke in den Stadtraum. Schäden an Werken sollen mit möglichst einfachen Mitteln verhindert werden und der Aufwand für den Unterhalt muss in angemessenem Rahmen bleiben. Die Einlagerung von Kunstwerken in Depots soll grundsätzlich vermieden werden. Die sich widersprechenden Vorgaben für Ausstellen und Schützen bilden ein Spannungsverhältnis: Für gewöhnlich unverhandelbare Aspekte im Kunstbereich – wie etwa die Bewahrung der originalen Materialität von Farbanstrichen, Verankerungen oder Armierungen – müssen Kompromisse gefunden werden. Jeder Einzelfall wird gesondert analysiert. Dabei wird auch immer die künstlerische Absicht miteinbezogen, denn es gibt auch Objekte, die nur für eine kurze Dauer konzipiert oder für einen spezifischen Kontext geschaffen wurden. Wenn möglich, werden solche Fragen im Vorfeld mit den Urheber*innen verhandelt. Grundsätzlich reagieren Künstler*innen, die Erfahrung mit dem urbanen Raum haben, lösungsorientiert. 

Unmittelbare Dialoge mit Kunstwerken

Anders als in musealen Räumlichkeiten, in denen Feuchtigkeit, Licht, Temperatur sowie die Distanz der Besuchenden zu den Objekten kontrolliert werden können, kann bei Kunstwerken im Aussenraum nicht allen äusseren Faktoren entgegengewirkt werden. Sicherlich kann über Einhausung, Überdachung und Graffitischutz nachgedacht werden, aber die Konservierung gerät an ihre Grenzen. So erleichtert ein Graffitischutz auf einem Objekt zwar die Reinigung potenzieller Tags und Schmierereien, verleiht der Oberfläche aber ein speckiges Aussehen, was einen starken Einfluss auf die Wirkung des Kunstwerks haben kann. Für die KiöR sind ab einem bestimmten Zeitpunkt wiederholte Restaurierungen oder Schutzmassnahmen nicht mehr vertretbar, insbesondere dann, wenn ein Kunstwerk durch Einzäunungen oder andere Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr mit seiner Umgebung in Dialog treten kann. Solche Vorrichtungen in urbanen Räumen, die eine vermeintliche Sicherheit suggerieren, stehen auch in gewissem Widerspruch zum Ursprungsgedanken, Kunst im öffentlichen Raum für die Bevölkerung zu bewahren und zugänglich zu machen. Die Wirkung von Zäunen liegt letztlich nur in der Schaffung von Grenzen, die das unmittelbare Erlebnis und die Präsentationswürde einer künstlerischen Arbeit stören.

Ähnliche Fragen stellen sich bei grossen Instandsetzungen mit Rekonstruktionen. Kann bei massiven restauratorischen Eingriffen noch vom Original gesprochen werden? Nicht selten werden anfällige oder sehr kostbare Skulpturen, die lange den Aussenraum prägten, losgelöst von ihrem Kontext in den Museen oder Depots aufbewahrt. An ihrer Stelle bleiben Kopien, die sich für den Aussenraum besser eignen; doch was ist der Nutzen dieser Objekte und was ihr künstlerischer Wert? Müssen Artefakte unbedingt auf ewig physisch bewahrt werden oder darf ein Kunstwerk auch mal lediglich dokumentarisch erhalten bleiben?

Unbestritten bleiben die Wirkung und Bedeutung dieser künstlerischen Beiträge für den öffentlichen Raum. Debatten über die allfällige Präsenz von Kunstwerken an einem Ort beginnen vielfach bereits vor deren Errichtung. Ist ihre Existenz für einen Ort legitimiert, leistet die Kunst einen essenziellen Beitrag zu dessen Identität. Ihre Qualität liegt in der Schaffung von Ambivalenzen, die neue Sichtweisen ermöglichen. Indem ein Werk einen Ort geprägt hat, bleibt es Teil dieser Geschichte – ungeachtet seiner materiellen Dimension, die zeitlichen Veränderungen unterliegt. Die Sammlung von Zeugnissen, die die Bedeutung eines Kunstwerks für den öffentlichen Raum belegen, sollte Teil einer zeitgemässen Konservierung sein. Archive und Datenbanken mit Bildern, Texten, Videos, Zeitungsausschnitten sichern die Geschichte von Kunstwerken über deren reale Präsenz im öffentlichen Raum hinaus.

Text:
Sara Izzo und Karoliina Elmer

Fotos:
Rolf Bichsel (Baptist Hoerbst) / Cédric Eisenring (Annemie Fontana) / Martin Stollenwerk (Ernst Suter, Robert Lienhard) / Peter Baracchi (Ernst Suter, restauriertes Relief) / KiöR Stadt Zürich

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